Monika heißt sie. Steht jedenfalls auf dem Schild, das an dem knappen Shirt befestigt ist. Wie ich finde, ein ziemlich kitschiges Ding. Zwei Teddybären halten den Namenszug in ihren Pfoten und blicken dabei provozierend gutmütig in die Welt. Ich bemühe mich, nicht weiter auf die Plakette zu starren, um keinesfalls den Eindruck eines lüsternen Oberweitenbegutachters zu erwecken.
Sie nimmt ihre Brille ab und
beginnt die Gläser mit einem Zipfel ihres Shirts zu putzen. Das gelingt erst
nach einigen Anläufen, da sich dem hautengen Kleidungsstück nur widerwillig
eine Textilfalte entlocken lässt. Dann setzt sie das Dioptriengerät wieder auf
die Nase. Für meinen Geschmack steht ihr das hornbrillenartige Nerd-Modell
ziemlich gut, was sicherlich dem maskulinen Denkmuskel geschuldet sein dürfte,
der irgendwo in seinen niederen Regionen Assoziationen an eine dieser
rattenscharfen Vorzimmersekretärinnen generiert. Bevor ich die Gedanken aber vertiefen
kann, ertönt ihre Stimme:
„Ok, wie kann ich ihnen nun
helfen?“, sagt sie und betrachtet mich sichtlich irritiert. Das heißt, mich und
den gewaltigen Plastiksack, der auf meinen Schultern ruht und Ursache für die
gebückte Haltung ist. Ächzend lasse ich die Last zu Boden gleiten und richte
mich auf.
„Waren sie von ihrer
Schwiegermutter genervt oder was ist das?“, meint Monika grinsend.
„Ne, das ist eine Matratze -
eingerollt und mit Paketschnur fixiert, damit das Ding in die Tüte passte.
Schwiegermutter habe ich zum Schwimmen geschickt - in Zementschuhen.“
Sie lacht und ihre vollen
Lippen legen Zahnreihen frei, die weiß im Licht der von dem Hallendach
herabhängenden Neonlampen blitzen.
„Na, dann hoffe ich mal,
dass wir keine Schwierigkeiten miteinander haben werden“, fügt Monika an.
„Mal schauen“, antworte ich,
pausiere kurz und setze eine gespielt skeptische Miene auf, „jedenfalls habe
ich dieses Produkt vor wenigen Monaten bei ihnen erworben und nun ist bereits
unbrauchbar.“
„Unbrauchbar? Wieso?“
„Naja, das Bett ist mein
Lebensmittelpunkt. Kommandoleitstand und sozusagen das Epizentrum meines
privaten Wirkens.“
„Ok, klingt interessant“,
bemerkt sie.
„Nun ist es aber so, dass
sich mit fortschreitender Liegedauer mein Körperschwerpunkt in diesem
Kaltschaumgebilde verewigte. Will sagen, die Matratze hat eine Kuhle
ausgebildet. Regelmäßiges Drehen und Wenden war offensichtlich erfolglos. Wenn
ich jetzt auf dem Teil liege, hat mein Hintern Fahrbahnkontakt. Zumindest fühlt
es sich so an.“
„Sie haben etwas gegen
Kuhlen?“
„Prinzipiell nicht. Ich mag
zum Beispiel jene Kuhlen an Frauenrücken ganz gerne, die sich da in Hüfthöhe
befinden. Lendengrübchen nennt man diese wohl.“
Monika streicht eine Locke
ihrer schwarzen Haarpracht aus der Stirn und schaut mich dabei einigermaßen
irritiert durch die handtellergroßen Gläser ihrer Brille an.
„Aha…na dann werfen wir doch
mal einen Blick darauf. Also die Matratze meine ich.“
Sie greift nach dem
Plastiksack und öffnet ihn. Mit vereinten Kräften hieven wir das Bündel heraus
und legen es auf eines der im Verkaufsraum ausgestellten Betten. Monika fasst
in die Hosentasche und befördert ein Kartonmesser an das Tageslicht. Mit
geübtem Griff zerschneidet sie die Paketschnur, worauf die Matratze unter einem
dumpfen Laut umgehend auseinanderschnellt.
„Sieh an, Modell
„Dornröschenschlaf“. 7 Zonen Komfortliegeareale bei anatomischer
Wirbelsäulenunterstützung durch hohe Punktelastizität und Mehrzonensteppung mit
hochwertigen Hohlfasern“, rezitiert sie, während ihr Kennerblick über den Schnarchbeschleuniger
wandert.
„Hohl ist durchaus passend“,
meine ich, „zumindest, was mein Kreuz betrifft.“
Dann zeige ich auf die
deutlich sichtbare Vertiefung in der Mitte der Chilloutunterlage.
„Sehen sie das? Schlafen
geht da nur noch in Klappmesserhaltung.“
Monika bückt sich über die
Matratze und fährt mit einer Hand in die Kuhle. Prüfend tastet sie und verzieht
überrascht das Gesicht, während sie mit einem Mal etwas aus der Vertiefung
zieht.
„Oh, meine Fernbedienung -
habe schon seit Tagen gesucht“, entfährt es mir, als ich den Gegenstand
erblicke. Glückserfüllt nehme ich das Gerät entgegen und verstaue es in einer
Tasche meines Mantels. Amüsiert verfolgen Monikas dunkle Augen meine
Handlungen, dann runzelt sie die Stirn.
„Seltsam, verwenden Sie
eigentlich keine Matratzenbezüge?“
„Doch, schon, aber jedes Mal,
wenn ich morgens aufwache, sind die verschwunden.“
Erneut greift Monika in die Kuhle und
befördert einen weiteren Gegenstand an das Tageslicht. Diesmal ein Bettlaken.
„Kein Wunder“, murmelt sie
und zieht es vollständig heraus. Wieder fasst sie in die Vertiefung und ein
weiteres Laken erscheint. Eines, das ich bereits schmerzlich vermisst hatte - jenes
mit dem Motiv der nicht nennenswert bekleideten Salma Hayek. Erfreut nehme ich
es entgegen. Monika grinst.
„Es ist unglaublich
flauschig“, bemerke ich.
„Sicher“, meint sie, „wie
meines mit den California Dream Boys.“
Mir entfährt ein röchelnder
Laut. Monika lacht.
„Ein knackiger Männerbody
hat schon etwas. Warme, feste Strukturen. Fühlt sich gut an“, meint sie
augenzwinkernd.
„Dann doch lieber weiche
Körperlandschaften. Berge und Täler. Schwindelerregende Kurven. Erhebungen und
Kuhlen, so dass man dazwischen mit den Händen lustwandeln möchte.“
Sie räuspert sich.
„Äh…ich glaube, wir
schweifen ab.“
Dann betrachtet Monika
nachdenklich die Matratze.
„Muss wohl ein
Produktionsfehler sein“, bemerkt sie.
Mit einem beherzten Satz
springt sie auf das Bett und legt sich der Länge nach hin. Kaum, dass der
Körper Position bezogen hat, beginnt sich im Bereich der Hüfte eine Vertiefung
auf der Unterlage auszubilden. Zunächst nur mäßig, bald aber so, dass ihr Rumpf
nahezu vollständig in den Kaltschaum einsinkt. Dann geht alles sehr schnell:
Innerhalb von Sekundenbruchteilen gewinnt die Kuhle an Durchmesser und Tiefe.
Überrascht von dem Ausmaß der Materialinstabilität, versucht Monika noch aus
dem kraterähnlichen Becken zu klettern, als die Matratze unter schmatzendem
Geräusch vollständig nachgibt und sie in die Kuhle hineingesogen wird. Hastig
springe ich an das Bett und greife nach ihr. Nur dieser geistesgegenwärtigen
Reaktion ist es zu verdanken, dass meine Hände einen Arm von ihr zu fassen
bekommen, während der Rest ihres Körpers in dunklen Untiefen verschwindet.
„Festhalten!“, rufe ich und packe
mit beiden Händen ihren Unterarm. Ohne den Griff zu lösen stemme ich ein Bein gegen
das Bettgestell und beginne vorsichtig zu ziehen. Zunächst ist ein Widerstand
zu spüren, dann, nach einigen kraftvollen Zügen, lässt dieser fühlbar nach. So
ist bald der Arm befreit, anschließend Kopf und Oberkörper. Die restlichen
Gliedmaßen können wir dann mit vereinten Kräften dem Schlund entziehen.
Die Haare zerzaust und die
Brille schräg auf der Nase, sitzt Monika wenig später auf dem Bettrand und
atmet schwer.
„Puh“, entfährt es ihr
zwischen zwei Atemzügen, „danke für ihre Hilfe.“
„Klar, gerne. Alles ok?“
„Ja, geht schon wieder“,
entgegnet sie, „war ein interessantes Erlebnis. Während ich an ihrem Arm
hing, war nämlich etwas zu sehen gewesen.“
„Wirklich? Was denn?“
„Da war eine grüne Wiese.
Auf dieser Wiese stand ein Zaun. Ein ganz simples Ding aus Holz - mehrere
Pfosten und zwei Querlatten. Wie ich da so schaue, taucht plötzlich eine Herde
Schafe auf. Die rennen im hohen Tempo auf besagten Zaun zu. Bevor sie den aber
erreichen, drosseln sie die Geschwindigkeit und eines der Tiere springt über
diesen. Die anderen versammeln sich nun vor dem Hindernis und beginnen
nacheinander über selbiges zu springen. Unwillkürlich begannen in meinem Kopf
Zahlen zu wandern und wissen sie was? Genau das ist das Problem – diese
Matratze ist eindeutig nicht aus der Modellreihe „Dornröschenschlaf“. Mein Fehler.
Ganz ohne Frage muss es sich hier um den Typ „Schäfchenzähler“ handeln und damit
wird die Sache klarer: „Schäfchenzähler“ war niemals für den Markt zugelassen,
ein reiner Prototyp. So, und jetzt fragen sie mich nicht, wie es in den Verkauf
gelangen konnte.“
Ratlos zuckt Monika mit den
Schultern. Ich nehme Platz neben ihr auf dem Bettrand.
„Naja, halb so tragisch, ist
glücklicherweise nichts passiert.“
Einem inneren Drang folgend,
lege ich einen Arm um ihre Schulter, was sie widerstandslos geschehen lässt.
„Weißt du“, sagt sie
irgendwann, „das Ding tauschen wir um. Bekommst dafür ein aktuelles Modell,
aber das mit den Kuhlen wird noch zu klären sein.“
Dem stimme ich ohne
Widerstand zu und verlasse einige Zeit später den Laden. Mit ordentlicher
Ausbeute, wie ich finde. So befindet sich, neben einer brandneuen Matratze Typ
„Sandmann“, auch eine Karte mit Monikas Telefonnummer in meinem Besitz. Klar
werde ich von dieser Gebrauch machen, denn nicht ohne Stolz hat sie mir bei der
Verabschiedung von ihrem komfortablen Wasserbett erzählt. Angeblich frei von
dauerhafter Kuhlenbildung. Und, wie schon erwähnt, prinzipiell habe ich ja
nichts gegen Kuhlen…
© by P.H.
© by P.H.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen