Dienstag, 28. April 2015

Wie man sich bettet…


Monika heißt sie. Steht jedenfalls auf dem Schild, das an dem knappen Shirt befestigt ist. Wie ich finde, ein ziemlich kitschiges Ding. Zwei Teddybären halten den Namenszug in ihren Pfoten und blicken dabei provozierend gutmütig in die Welt. Ich bemühe mich, nicht weiter auf die Plakette zu starren, um keinesfalls den Eindruck eines lüsternen Oberweitenbegutachters zu erwecken.
Sie nimmt ihre Brille ab und beginnt die Gläser mit einem Zipfel ihres Shirts zu putzen. Das gelingt erst nach einigen Anläufen, da sich dem hautengen Kleidungsstück nur widerwillig eine Textilfalte entlocken lässt. Dann setzt sie das Dioptriengerät wieder auf die Nase. Für meinen Geschmack steht ihr das hornbrillenartige Nerd-Modell ziemlich gut, was sicherlich dem maskulinen Denkmuskel geschuldet sein dürfte, der irgendwo in seinen niederen Regionen Assoziationen an eine dieser rattenscharfen Vorzimmersekretärinnen generiert. Bevor ich die Gedanken aber vertiefen kann, ertönt ihre Stimme:
„Ok, wie kann ich ihnen nun helfen?“, sagt sie und betrachtet mich sichtlich irritiert. Das heißt, mich und den gewaltigen Plastiksack, der auf meinen Schultern ruht und Ursache für die gebückte Haltung ist. Ächzend lasse ich die Last zu Boden gleiten und richte mich auf.
„Waren sie von ihrer Schwiegermutter genervt oder was ist das?“, meint Monika grinsend.
„Ne, das ist eine Matratze - eingerollt und mit Paketschnur fixiert, damit das Ding in die Tüte passte. Schwiegermutter habe ich zum Schwimmen geschickt - in Zementschuhen.“
Sie lacht und ihre vollen Lippen legen Zahnreihen frei, die weiß im Licht der von dem Hallendach herabhängenden Neonlampen blitzen.
„Na, dann hoffe ich mal, dass wir keine Schwierigkeiten miteinander haben werden“, fügt Monika an.
„Mal schauen“, antworte ich, pausiere kurz und setze eine gespielt skeptische Miene auf, „jedenfalls habe ich dieses Produkt vor wenigen Monaten bei ihnen erworben und nun ist bereits unbrauchbar.“
„Unbrauchbar? Wieso?“
„Naja, das Bett ist mein Lebensmittelpunkt. Kommandoleitstand und sozusagen das Epizentrum meines privaten Wirkens.“
„Ok, klingt interessant“, bemerkt sie.
„Nun ist es aber so, dass sich mit fortschreitender Liegedauer mein Körperschwerpunkt in diesem Kaltschaumgebilde verewigte. Will sagen, die Matratze hat eine Kuhle ausgebildet. Regelmäßiges Drehen und Wenden war offensichtlich erfolglos. Wenn ich jetzt auf dem Teil liege, hat mein Hintern Fahrbahnkontakt. Zumindest fühlt es sich so an.“
„Sie haben etwas gegen Kuhlen?“
„Prinzipiell nicht. Ich mag zum Beispiel jene Kuhlen an Frauenrücken ganz gerne, die sich da in Hüfthöhe befinden. Lendengrübchen nennt man diese wohl.“
Monika streicht eine Locke ihrer schwarzen Haarpracht aus der Stirn und schaut mich dabei einigermaßen irritiert durch die handtellergroßen Gläser ihrer Brille an.
„Aha…na dann werfen wir doch mal einen Blick darauf. Also die Matratze meine ich.“
Sie greift nach dem Plastiksack und öffnet ihn. Mit vereinten Kräften hieven wir das Bündel heraus und legen es auf eines der im Verkaufsraum ausgestellten Betten. Monika fasst in die Hosentasche und befördert ein Kartonmesser an das Tageslicht. Mit geübtem Griff zerschneidet sie die Paketschnur, worauf die Matratze unter einem dumpfen Laut umgehend auseinanderschnellt.
„Sieh an, Modell „Dornröschenschlaf“. 7 Zonen Komfortliegeareale bei anatomischer Wirbelsäulenunterstützung durch hohe Punktelastizität und Mehrzonensteppung mit hochwertigen Hohlfasern“, rezitiert sie, während ihr Kennerblick über den Schnarchbeschleuniger wandert.
„Hohl ist durchaus passend“, meine ich, „zumindest, was mein Kreuz betrifft.“
Dann zeige ich auf die deutlich sichtbare Vertiefung in der Mitte der Chilloutunterlage.
„Sehen sie das? Schlafen geht da nur noch in Klappmesserhaltung.“
Monika bückt sich über die Matratze und fährt mit einer Hand in die Kuhle. Prüfend tastet sie und verzieht überrascht das Gesicht, während sie mit einem Mal etwas aus der Vertiefung zieht.
„Oh, meine Fernbedienung - habe schon seit Tagen gesucht“, entfährt es mir, als ich den Gegenstand erblicke. Glückserfüllt nehme ich das Gerät entgegen und verstaue es in einer Tasche meines Mantels. Amüsiert verfolgen Monikas dunkle Augen meine Handlungen, dann runzelt sie die Stirn.
„Seltsam, verwenden Sie eigentlich keine Matratzenbezüge?“
„Doch, schon, aber jedes Mal, wenn ich morgens aufwache, sind die verschwunden.“
 Erneut greift Monika in die Kuhle und befördert einen weiteren Gegenstand an das Tageslicht. Diesmal ein Bettlaken.
„Kein Wunder“, murmelt sie und zieht es vollständig heraus. Wieder fasst sie in die Vertiefung und ein weiteres Laken erscheint. Eines, das ich bereits schmerzlich vermisst hatte - jenes mit dem Motiv der nicht nennenswert bekleideten Salma Hayek. Erfreut nehme ich es entgegen. Monika grinst.
„Es ist unglaublich flauschig“, bemerke ich.
„Sicher“, meint sie, „wie meines mit den California Dream Boys.“
Mir entfährt ein röchelnder Laut. Monika lacht.
„Ein knackiger Männerbody hat schon etwas. Warme, feste Strukturen. Fühlt sich gut an“, meint sie augenzwinkernd.
„Dann doch lieber weiche Körperlandschaften. Berge und Täler. Schwindelerregende Kurven. Erhebungen und Kuhlen, so dass man dazwischen mit den Händen lustwandeln möchte.“
Sie räuspert sich.
„Äh…ich glaube, wir schweifen ab.“
Dann betrachtet Monika nachdenklich die Matratze.
„Muss wohl ein Produktionsfehler sein“, bemerkt sie.
Mit einem beherzten Satz springt sie auf das Bett und legt sich der Länge nach hin. Kaum, dass der Körper Position bezogen hat, beginnt sich im Bereich der Hüfte eine Vertiefung auf der Unterlage auszubilden. Zunächst nur mäßig, bald aber so, dass ihr Rumpf nahezu vollständig in den Kaltschaum einsinkt. Dann geht alles sehr schnell: Innerhalb von Sekundenbruchteilen gewinnt die Kuhle an Durchmesser und Tiefe. Überrascht von dem Ausmaß der Materialinstabilität, versucht Monika noch aus dem kraterähnlichen Becken zu klettern, als die Matratze unter schmatzendem Geräusch vollständig nachgibt und sie in die Kuhle hineingesogen wird. Hastig springe ich an das Bett und greife nach ihr. Nur dieser geistesgegenwärtigen Reaktion ist es zu verdanken, dass meine Hände einen Arm von ihr zu fassen bekommen, während der Rest ihres Körpers in dunklen Untiefen verschwindet.
„Festhalten!“, rufe ich und packe mit beiden Händen ihren Unterarm. Ohne den Griff zu lösen stemme ich ein Bein gegen das Bettgestell und beginne vorsichtig zu ziehen. Zunächst ist ein Widerstand zu spüren, dann, nach einigen kraftvollen Zügen, lässt dieser fühlbar nach. So ist bald der Arm befreit, anschließend Kopf und Oberkörper. Die restlichen Gliedmaßen können wir dann mit vereinten Kräften dem Schlund entziehen.
Die Haare zerzaust und die Brille schräg auf der Nase, sitzt Monika wenig später auf dem Bettrand und atmet schwer.
„Puh“, entfährt es ihr zwischen zwei Atemzügen, „danke für ihre Hilfe.“
„Klar, gerne. Alles ok?“
„Ja, geht schon wieder“, entgegnet sie, „war ein interessantes Erlebnis. Während ich an ihrem Arm hing,  war nämlich etwas zu sehen gewesen.“
„Wirklich? Was denn?“
„Da war eine grüne Wiese. Auf dieser Wiese stand ein Zaun. Ein ganz simples Ding aus Holz - mehrere Pfosten und zwei Querlatten. Wie ich da so schaue, taucht plötzlich eine Herde Schafe auf. Die rennen im hohen Tempo auf besagten Zaun zu. Bevor sie den aber erreichen, drosseln sie die Geschwindigkeit und eines der Tiere springt über diesen. Die anderen versammeln sich nun vor dem Hindernis und beginnen nacheinander über selbiges zu springen. Unwillkürlich begannen in meinem Kopf Zahlen zu wandern und wissen sie was? Genau das ist das Problem – diese Matratze ist eindeutig nicht aus der Modellreihe „Dornröschenschlaf“. Mein Fehler. Ganz ohne Frage muss es sich hier um den Typ „Schäfchenzähler“ handeln und damit wird die Sache klarer: „Schäfchenzähler“ war niemals für den Markt zugelassen, ein reiner Prototyp. So, und jetzt fragen sie mich nicht, wie es in den Verkauf gelangen konnte.“
Ratlos zuckt Monika mit den Schultern. Ich nehme Platz neben ihr auf dem Bettrand.
„Naja, halb so tragisch, ist glücklicherweise nichts passiert.“
Einem inneren Drang folgend, lege ich einen Arm um ihre Schulter, was sie widerstandslos geschehen lässt.
„Weißt du“, sagt sie irgendwann, „das Ding tauschen wir um. Bekommst dafür ein aktuelles Modell, aber das mit den Kuhlen wird noch zu klären sein.“
Dem stimme ich ohne Widerstand zu und verlasse einige Zeit später den Laden. Mit ordentlicher Ausbeute, wie ich finde. So befindet sich, neben einer brandneuen Matratze Typ „Sandmann“, auch eine Karte mit Monikas Telefonnummer in meinem Besitz. Klar werde ich von dieser Gebrauch machen, denn nicht ohne Stolz hat sie mir bei der Verabschiedung von ihrem komfortablen Wasserbett erzählt. Angeblich frei von dauerhafter Kuhlenbildung. Und, wie schon erwähnt, prinzipiell habe ich ja nichts gegen Kuhlen… 

© by P.H.

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