Dienstag, 28. April 2015

Picheln und Laura

Mit geübtem Schwung stellt die Kellnerin das Bier auf den Tresen. Dabei lächelt sie mir freundlich zu. Hübsche Erscheinung. Wahrscheinlich Studentin. Sozialpädagogik oder so. Der blonde Pferdeschwanz und die modische Hornbrille könnten aber auch für Germanistik sprechen. Ich denke darüber nach, sie zu fragen.
„Wohl bekomm’s“, schickt sie mir wohlgeformte Worte aus vollen Lippen entgegen.
Ich nicke ihr mit meiner besten Feierabendmine zu und hebe das Glas.
Der erste Schluck ist immer der beste.
Kühl und belebend rinnt das Nass die Kehle hinunter.
Zufrieden platziere ich das Glas wieder auf den Tresen und wische mit dem Handrücken über den Mund.

„Helmut“, klingt es in diesem Moment neben mir. Eine Hand schiebt sich in mein Sichtfeld. Eine gezeichnete Hand. Kräftig, aber unvollständig. Zwei Finger fehlen.
Der ältere Herr rechts neben mir auf dem Barhocker schaut mich aus hellen Augen freundlich an. Er scheint meinen erstaunten Blick bemerkt zu haben.
„Stalingrad 45. Hat mich mehr als zwei Kuppen gekostet.“
„Wären Sie da mal lieber in die Karibik geflogen“, antworte ich und erwidere den festen Händedruck.
„Hätte eine Wahl bestanden, glaube mir, dann wäre ich lieber gegen Süden geflogen, als in den Osten gelaufen.“
„Gelaufen?“
Helmut nickt und streicht dabei über seinen Kopf, der von einem spärlichen Borstenteppich weißer Färbung geziert wird.
„Ja“, meint er, „Butterfahrt im Luxusliner gab es damals noch nicht.“
Ich muss grinsen.
„Laufen ist Mist“, fährt Helmut fort, „habe mir nach der Rückkehr geschworen, nie wieder zu laufen. Einmal Russland und zurück reicht für das Leben.“
Irgendwie kann ich ihn verstehen.
„Zu Fuß geht es heute maximal zur Toilette und zurück“, fügt er an.

„Yeah, recht hast du, Alter“, meint der Typ zu meiner Linken.
Offensichtlich hat er unser Gespräch verfolgt und nickt nun zustimmend in Helmuts Richtung. Dabei hebt er ungelenk das Glas, in dem sich etwas Colabasierendes zu befinden scheint. Nicht ohne Belustigung registriere ich die hoch aufgeschossene, hagere Erscheinung, die sich auf dem Sitzmöbel eingefaltet hat und nun giraffenhalsig den Sichthorizont erweitert. Neugierig wandern seine dunklen Augen unter einer langen, sauerkrautartigen Mähne umher.
„Besser schlecht gefahren, als gut gelaufen“, meint er grinsend.
Helmut lächelt und prostet ihm zu.
In seelenverwandter Geschlossenheit führen wir die Gläser zum Mund.
Meines positioniere ich anschließend im entleerten Zustand wieder zurück auf den Tresen.
Die Kellnerin huscht vorbei, greift dieses und wenige Sekunden später befindet sich ein gefülltes an der gleichen Stelle.
„Geht auf’s Haus“, meint sie mit einem verschwörerischen Lächeln.

Ich spüre einen Ellenbogen, der mich linksseitig irgendwo in der Nierengegend trifft. Der Lange grinst mich breit an.
„Dein Glückstag. Laura hat dich scheinbar auf ihrer To-do-Liste.“
Für mich klingt das nach Arbeit und wenig kompatibel zu meiner Feierabendstimmung.
„Naja, wollte den Laden eigentlich aufrechten Ganges verlassen,“ entgegne ich.
„Laufen wird gnadenlos überschätzt“, lässt Helmut hören.
Der Lange grinst.
„Verdammt richtig, Alter. Erinnert mich an meine Zeit als Punk. Ende der 70iger. War ne wilde Phase. Kaum ein Tag, an dem wir nicht breit wie Überseekoffer waren.“
„Und heute? Sofageneral?“, frage ich.
„Yeah, Harry, du machst es nicht mehr lange, haben die zu mir gesagt. Dann kam diese Frau.“
Grinsend hebt er die rechte Hand und lässt einen beringten Finger sehen.
„Im Bürgertum eingecheckt.“
„Und, war es schmerzhaft?“, fragt Helmut.
„Ne, hat durchaus korrekte Aspekte“, entgegnet Harry und streicht dabei über die Wölbung eines kleinen Bauchansatzes.
Amüsiert wende ich mich ab und lasse meinen Blick schweifen.

Das Lokal hat sich inzwischen geleert. Neugierig folgen meine Augen Laura, wie sie Tische abräumt und über Flächen wischt. Dabei wiegen ihre Hüften in extrem verführerischer Weise.
„Süßer Hintern“, denke ich noch, als sie sich umdreht und ein schelmisches Grinsen in meine Richtung sendet.
Irgendwie fühle ich mich ertappt und erwidere verlegen lächelnd ihren Blick.
„Talentierter Körperbau“, bemerkt Harry, der meine Kopfbewegungen registriert hat.
Laura kommt herüber und konfrontiert mich erneut mit einem gefüllten Glas auf Hauskosten.
„Letzte Runde, meine Herren“, lässt sie verlauten.
Helmut greift in die Jackentasche und zaubert ein Handy hervor. Keiner der Anwesenden wirkt überrascht, als er ein Wagen bei dem örtlichen Taxiunternehmen bestellt.
Schweigend leeren wir die Gläser, begleichen die Rechnungen und räumen die Stühle.
Auf dem Weg zur Tür ertönt Lauras Stimme:
„Warte, ich komme mit.“
Eilig greift sie nach einer Jacke und läuft auf mich zu.
„Wusste ich es doch“, murmelt Harry und klopft mir anerkennend auf die Schulter.

Laura reift nach meiner Hand und zieht mich auf die Straße.
Wir bleiben vor der Türe stehen und schauen den Jungs nach.
Harry der Altpunk, wie er ein altes, klappriges Hollandrad besteigt und schwankend davonfährt.
Helmut, der dem Laufen abgeschworen hat und sich in das Taxi schwingt.
Laura lächelt mich an.
„Lass uns gehen.“
„Ja, lass uns gehen“, sage ich.

© by P.H.

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