Eva Wurstspan war eine durchschnittliche Frau. Also nicht
außergewöhnlich auffällig. Beruflich suchte sie sich als
Sachbearbeiterin bei einer namhaften Versicherungsgesellschaft zu
verwirklichen. Einmal im Monat gastierte sie in dem nahe gelegenen
Friseursalon „Carlas Haarstudio“ und ließ sich ihre Spitzen schneiden.
Alle zwei Wochen ging sie mit ihren Kolleginnen zum Kegeln auf der
Hausbahn im Bürgertreffpunkt. Zudem nannte sie einen schwarzen Kater,
der auf den Namen „Mephisto“ mehr schlecht als recht hörte, ihr Eigen
und einen Kleinwagen, der inzwischen etwas in die Jahre gekommen war.
Für einen neuen hatte es finanziell bisher noch nicht gereicht, was sie
aber nicht wirklich störte, da Eva Wurstspan eine Frau war, die die
unmittelbaren Freuden des Lebens schätzte. Urlaub in fernen Ländern zum
Beispiel oder ein gepflegtes Mahl bei Ernesto – ihrem
Lieblingsitaliener.
Klar, spurlos ging das nicht an der äußeren
Erscheinung vorbei, aber Eva Wurstspan als rundlich zu bezeichnen, wäre
übertrieben gewesen. Gut proportioniert, weibliche Kurven an den
richtigen Stellen würde man euphemistisch formulieren. Wollte sie aber
nicht, war auch nicht nötig, da kein Bedarf an öffentlicher
Ausschreibung bestand.
Eva Wurstspan war eine Frau, die über
reichlich Kontakte verfügte. Auch zur Männerwelt. Nicht wenige dieser
Exemplare zeigten sich durchaus interessiert an ihrer Gesellschaft. Mag
nicht zuletzt ihrer durchaus augenschmeichelnden Erscheinung geschuldet
gewesen sein. Eva Wurstspan wusste sich zu kleiden. Stets modisch
beeinflusst und geschickt ihre Formen betonend. Dazu ihr hübsches
Gesicht mit der Stupsnase, die zwischen zwei fröhlichen blitzenden Augen
grünlicher Färbung neugierig in die Welt schauten. Außerdem vermochte
sie zu lachen. Also, nicht nur einfach lachen, sondern so, dass alle
Anwesenden unvermittelt einstimmen mussten. Dabei schüttelte sie ihre
rötliche Mähne in einer Form, dass jedes Löwenmännchen vor Neid erblasst
wäre.
Kurz gesagt: Eva Wurstspan war eine Frau, wie es sie
überall zu treffen möglich war. Nein, nicht gewöhnlich, aber auch nicht
außergewöhnlich.
Sieht man vielleicht von ihrer Leidenschaft für
das Kartenspiel ab. Nicht, dass es sich um ein ernsthaftes Problem
gehandelt hätte, aber zumindest um eine kleine Schwäche. Kamen die
Karten auf den Tisch, so war das Funkeln in ihren Augen kaum zu
übersehen. Irgendwie scheinen die bunten Bilder und Zahlen einen
kindlichen Trieb in ihr zu wecken. Die Herausforderung des Glückes und
das Messen mit anderen stellte für sie einen besonderen Kick dar, der
eine gewisse Zeit lang die Mühen des Alltages vergessen ließ. Nicht,
dass sie bei den abendlichen Runden mit Poker oder 21 bisher Schaden
genommen hätte. Nein, soweit hätte sie es niemals kommen lassen. Dazu
war sie zu sehr dem Leben verhaftet. Wenn Eva Wurstspan mit den Nachbarn
aus dem Haus oder den Jungs aus ihrem Bekanntenkreis die Karten teilte,
dann war der Einsatz auf nicht mehr als wenige Euros beschränkt. Dabei
konnte sich ihre Erfolgsquote durchaus sehen lassen. Selten, dass Eva
Wurstspan mit negativer Bilanz den Tisch verließ.
Das mag ihr auch von Vorteil gewesen sein in jener Nacht, als sie eine außergewöhnliche Begegnung hatte.
Es
fing damit an, dass sie nach erfolgreicher Spielrunde erschöpft das
Bett aufsuchte, um sich dem Schlaf zu widmen. Irgendwann nach
Mitternacht war es, als sie plötzlich hochfuhr und das dringende
Bedürfnis nach Blasenerleichterung verspürte. So schwang sie ihre Beine
aus dem Bett, schlüpfte in die Pantoffeln und schlurfte zur Toilette.
Das Licht der Straßenlaterne vor dem Haus und die über Jahre
erworbenen, geographischen Kenntnisse der Räumlichkeiten ließen sie auch
bei sparsamer Ausleuchtung sicher den Weg finden.
Das Geschäft war
schnell erledigt und so räumte Eva Wurstspan nach kurzer Zeit das stille
Örtchen und steuerte wieder ihre Ruhestätte an, als sie plötzlich
raschelnde Geräusche in ihrer Bewegung innehalten ließen. Sie meinte,
ungewohnte Laute aus der Kleiderkammer zu vernehmen. Nicht wirklich eine
Kleiderkammer, wurde es vielmehr als Arbeitszimmer genutzt, aber sie
hatte diesen Raum derart betitelt, weil dort ihre Textilien aufbewahrt
wurden.
Ein Blick zu dem Korb im Flur, wo der Kater seinen Platz
hatte, ließ sie, auch im Halbdunkel, erkennen, dass dieser friedlich
vor sich hinschlummerte.
Vorsichtig näherte sie sich dem Arbeitsraum
und spähte durch die halbgeöffnete Tür. Eine Handvoll Zwerge tummelten
sich in dem Zimmer. Ein anderes Wort als Zwerge fiel ihr in diesem
Moment nicht ein, handelte es sich doch um Wesen, die nicht mehr als
geschätzte Taschenbuchgröße aufwiesen. Geschäftigt huschten diese über
den Boden, erklommen die Schränke und machten sich offensichtlich an
ihren Kleidern zu schaffen.
Eva Wurstspan war eine
unerschrockene Frau. Keine Achterbahn, die sie scheute und kein
Steuerbescheid, den sie nicht todesverächtlich zu lesen bereit war. Nur
folgerichtig, dass sie im nächsten Moment die Tür weit aufstieß und den
Lichtschalter betätigte. Taghell erleuchtet stellte sich die Szenerie
dar und sorgte für eine plötzliche Unterbrechung der Aktivitäten
anwesender Kleingeschöpfe.
„Was geht hier vor?“, entfuhr es ihr mit erhobener Stimme.
Die
Zwerge zuckten zusammen und nur einen Moment später antwortete einer
aus der Mannschaft, der offenbar der Wortführer zu sein schien:
„Oh, Frau Wurstspan, entschuldigen Sie, wir vermuteten Sie schlafend.“
„Mag
sein, das gibt ihnen trotzdem nicht das Recht, sich in meiner Wohnung
aufzuhalten und mit meinem Eigentum zu hantieren“, erwiderte sie empört.
„Nun, es ist nicht so, wie Sie denken. Wir gehen lediglich unserem Auftrag nach.“
„Welchen Auftrag?“, erwiderte Eva Wurstspan verwirrt.
„Das
ist nicht so einfach zu erklären. Setzen wir uns doch, dann werde ich
versuchen, Ihnen einige erhellende Worte zu spenden.“
Eva
Wurstspan drehte sich herum und mit einer auffordernden Geste bedeutete
sie dem Zwergenchef, ihr in das Wohnzimmer zu folgen. Sie knipste das
Licht an, nahm Platz auf dem Sofa, während der ungebetene Besucher sich
auf dem Tisch positionierte.
„Oh, sie spielen?“, ließ dieser hören, als er den Kartenstapel vom Vorabend erblickte.
„Ja, leidenschaftlich. Bevorzugt Poker. Sie auch?“
„Allerdings. Wie ist es? Wollen wir ein Spielchen wagen?“
Eva Wurstspan hatte noch nie eine solche Aufforderung ausgeschlagen und tat dieses nun auch nicht.
Die
Karten wurden gemischt und eine unterhaltsame Partie nahm ihren Lauf.
Irgendwie erschien es ihr seltsam, diesen Wicht zu beobachten, wie er
das Blatt hielt, hinter welchem er nahezu gänzlich verschwand.
Zweifellos
war er aber ein guter Spieler. Vortrefflich verstand er sich auf das
Bluffen und das Glück wechselte permanent die Fronten.
Es mochten
Stunden vergangen sein, als sie ihn endlich um seine Habseligkeiten
erleichtert hatte. Im Wesentlichen waren dies einige Silbermünzen, die
er glaubhaft als wertvoll dargestellt hatte.
Mangels weiteren
Besitzes sah Eva Wurstspan das Ende der Runde gekommen. Da griff der
Zwerg in seine Jackentasche und präsentierte eine goldene Nähnadel, die
er als Einsatz auf den Tisch legte.
„Das ist alles, was ich noch aufbieten kann. Dann haben Sie mich auch um mein Arbeitsgerät erleichtert.“
Die
Runde war von kurzer Dauer. Gegen den Damendrilling hatte das
Bubenpärchen des Zwerges keine Chance und die Nadel wechselte den
Besitzer.
So kam es, dass am Ende der Nacht Eva Wurstspan nicht
nur einen weiteren Sieg in dem Spiel errungen hatte, das sie so sehr
liebte. Nein, sie hatte auch das Werkzeug des Wesens erbeutet, das sich
immer wieder des Nächtens an den Kleidern vergriffen und zu ihrem
Leidwesen enger genäht hatte…
© by P.H.
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