Dienstag, 28. April 2015

Glücksspiel kann glücklich machen

Eva Wurstspan war eine durchschnittliche Frau. Also nicht außergewöhnlich auffällig. Beruflich suchte sie sich als Sachbearbeiterin bei einer namhaften Versicherungsgesellschaft zu verwirklichen. Einmal im Monat gastierte sie in dem nahe gelegenen Friseursalon „Carlas Haarstudio“ und ließ sich ihre Spitzen schneiden. Alle zwei Wochen ging sie mit ihren Kolleginnen zum Kegeln auf der Hausbahn im Bürgertreffpunkt. Zudem nannte sie einen schwarzen Kater, der auf den Namen „Mephisto“ mehr schlecht als recht hörte, ihr Eigen und einen Kleinwagen, der inzwischen etwas in die Jahre gekommen war. Für einen neuen hatte es finanziell bisher noch nicht gereicht, was sie aber nicht wirklich störte, da Eva Wurstspan eine Frau war, die die unmittelbaren Freuden des Lebens schätzte. Urlaub in fernen Ländern zum Beispiel oder ein gepflegtes Mahl bei Ernesto – ihrem Lieblingsitaliener.

Klar, spurlos ging das nicht an der äußeren Erscheinung vorbei, aber Eva Wurstspan als rundlich zu bezeichnen, wäre übertrieben gewesen. Gut proportioniert, weibliche Kurven an den richtigen Stellen würde man euphemistisch formulieren. Wollte sie aber nicht, war auch nicht nötig, da kein Bedarf an öffentlicher Ausschreibung bestand.

Eva Wurstspan war eine Frau, die über reichlich Kontakte verfügte. Auch zur Männerwelt. Nicht wenige dieser Exemplare zeigten sich durchaus interessiert an ihrer Gesellschaft. Mag nicht zuletzt ihrer durchaus augenschmeichelnden Erscheinung geschuldet gewesen sein. Eva Wurstspan wusste sich zu kleiden. Stets modisch beeinflusst und geschickt ihre Formen betonend. Dazu ihr hübsches Gesicht mit der Stupsnase, die zwischen zwei fröhlichen blitzenden Augen grünlicher Färbung neugierig in die Welt schauten. Außerdem vermochte sie zu lachen. Also, nicht nur einfach lachen, sondern so, dass alle Anwesenden unvermittelt einstimmen mussten. Dabei schüttelte sie ihre rötliche Mähne in einer Form, dass jedes Löwenmännchen vor Neid erblasst wäre.

Kurz gesagt: Eva Wurstspan war eine Frau, wie es sie überall zu treffen möglich war. Nein, nicht gewöhnlich, aber auch nicht außergewöhnlich.
Sieht man vielleicht von ihrer Leidenschaft für das Kartenspiel ab. Nicht, dass es sich um ein ernsthaftes Problem gehandelt hätte, aber zumindest um eine kleine Schwäche. Kamen die Karten auf den Tisch, so war das Funkeln in ihren Augen kaum zu übersehen. Irgendwie scheinen die bunten Bilder und Zahlen einen kindlichen Trieb in ihr zu wecken. Die Herausforderung des Glückes und das Messen mit anderen stellte für sie einen besonderen Kick dar, der eine gewisse Zeit lang die Mühen des Alltages vergessen ließ. Nicht, dass sie bei den abendlichen Runden mit Poker oder 21 bisher Schaden genommen hätte. Nein, soweit hätte sie es niemals kommen lassen. Dazu war sie zu sehr dem Leben verhaftet. Wenn Eva Wurstspan mit den Nachbarn aus dem Haus oder den Jungs aus ihrem Bekanntenkreis die Karten teilte, dann war der Einsatz auf nicht mehr als wenige Euros beschränkt. Dabei konnte sich ihre Erfolgsquote durchaus sehen lassen. Selten, dass Eva Wurstspan mit negativer Bilanz den Tisch verließ.

Das mag ihr auch von Vorteil gewesen sein in jener Nacht, als sie eine außergewöhnliche Begegnung hatte.

Es fing damit an, dass sie nach erfolgreicher Spielrunde erschöpft das Bett aufsuchte, um sich dem Schlaf zu widmen. Irgendwann nach Mitternacht war es, als sie plötzlich hochfuhr und das dringende Bedürfnis nach Blasenerleichterung verspürte. So schwang sie ihre Beine aus dem Bett, schlüpfte in die Pantoffeln und schlurfte zur Toilette.
Das Licht der Straßenlaterne vor dem Haus und die über Jahre erworbenen, geographischen Kenntnisse der Räumlichkeiten ließen sie auch bei sparsamer Ausleuchtung sicher den Weg finden.
Das Geschäft war schnell erledigt und so räumte Eva Wurstspan nach kurzer Zeit das stille Örtchen und steuerte wieder ihre Ruhestätte an, als sie plötzlich raschelnde Geräusche in ihrer Bewegung innehalten ließen. Sie meinte, ungewohnte Laute aus der Kleiderkammer zu vernehmen. Nicht wirklich eine Kleiderkammer, wurde es vielmehr als Arbeitszimmer genutzt, aber sie hatte diesen Raum derart betitelt, weil dort ihre Textilien aufbewahrt wurden.

Ein Blick zu dem Korb im Flur, wo der Kater seinen Platz hatte, ließ sie, auch im Halbdunkel, erkennen, dass dieser friedlich vor sich hinschlummerte.
Vorsichtig näherte sie sich dem Arbeitsraum und spähte durch die halbgeöffnete Tür. Eine Handvoll Zwerge tummelten sich in dem Zimmer. Ein anderes Wort als Zwerge fiel ihr in diesem Moment nicht ein, handelte es sich doch um Wesen, die nicht mehr als geschätzte Taschenbuchgröße aufwiesen. Geschäftigt huschten diese über den Boden, erklommen die Schränke und machten sich offensichtlich an ihren Kleidern zu schaffen.

Eva Wurstspan war eine unerschrockene Frau. Keine Achterbahn, die sie scheute und kein Steuerbescheid, den sie nicht todesverächtlich zu lesen bereit war. Nur folgerichtig, dass sie im nächsten Moment die Tür weit aufstieß und den Lichtschalter betätigte. Taghell erleuchtet stellte sich die Szenerie dar und sorgte für eine plötzliche Unterbrechung der Aktivitäten anwesender Kleingeschöpfe.
„Was geht hier vor?“, entfuhr es ihr mit erhobener Stimme.
Die Zwerge zuckten zusammen und nur einen Moment später antwortete einer aus der Mannschaft, der offenbar der Wortführer zu sein schien:
„Oh, Frau Wurstspan, entschuldigen Sie, wir vermuteten Sie schlafend.“
„Mag sein, das gibt ihnen trotzdem nicht das Recht, sich in meiner Wohnung aufzuhalten und mit meinem Eigentum zu hantieren“, erwiderte sie empört.
„Nun, es ist nicht so, wie Sie denken. Wir gehen lediglich unserem Auftrag nach.“
„Welchen Auftrag?“, erwiderte Eva Wurstspan verwirrt.
„Das ist nicht so einfach zu erklären. Setzen wir uns doch, dann werde ich versuchen, Ihnen einige erhellende Worte zu spenden.“

Eva Wurstspan drehte sich herum und mit einer auffordernden Geste bedeutete sie dem Zwergenchef, ihr in das Wohnzimmer zu folgen. Sie knipste das Licht an, nahm Platz auf dem Sofa, während der ungebetene Besucher sich auf dem Tisch positionierte.
„Oh, sie spielen?“, ließ dieser hören, als er den Kartenstapel vom Vorabend erblickte.
„Ja, leidenschaftlich. Bevorzugt Poker. Sie auch?“
„Allerdings. Wie ist es? Wollen wir ein Spielchen wagen?“
Eva Wurstspan hatte noch nie eine solche Aufforderung ausgeschlagen und tat dieses nun auch nicht.

Die Karten wurden gemischt und eine unterhaltsame Partie nahm ihren Lauf. Irgendwie erschien es ihr seltsam, diesen Wicht zu beobachten, wie er das Blatt hielt, hinter welchem er nahezu gänzlich verschwand.
Zweifellos war er aber ein guter Spieler. Vortrefflich verstand er sich auf das Bluffen und das Glück wechselte permanent die Fronten.
Es mochten Stunden vergangen sein, als sie ihn endlich um seine Habseligkeiten erleichtert hatte. Im Wesentlichen waren dies einige Silbermünzen, die er glaubhaft als wertvoll dargestellt hatte.
Mangels weiteren Besitzes sah Eva Wurstspan das Ende der Runde gekommen. Da griff der Zwerg in seine Jackentasche und präsentierte eine goldene Nähnadel, die er als Einsatz auf den Tisch legte.
„Das ist alles, was ich noch aufbieten kann. Dann haben Sie mich auch um mein Arbeitsgerät erleichtert.“

Die Runde war von kurzer Dauer. Gegen den Damendrilling hatte das Bubenpärchen des Zwerges keine Chance und die Nadel wechselte den Besitzer.

So kam es, dass am Ende der Nacht Eva Wurstspan nicht nur einen weiteren Sieg in dem Spiel errungen hatte, das sie so sehr liebte. Nein, sie hatte auch das Werkzeug des Wesens erbeutet, das sich immer wieder des Nächtens an den Kleidern vergriffen und zu ihrem Leidwesen enger genäht hatte…

© by P.H.

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