Samstag, 31. Dezember 2011

Winterphantasie

Kalt war es. Bitterkalt. Er schlug den Kragen seines Mantels auf und versuchte die aufkommende Panik zu unterdrücken.
"JANAAA!"
Der Ruf verhallte irgendwo zwischen den schneebeschwerten Bäumen.
Hatte er gehofft, eine Antwort zu vernehmen, so wurde er abermals enttäuscht.
Ungerührt von den Rufen eines Verzweifelten verharrte der Wald in teilnahmsloser Stille.
Gespenstische Ruhe, die nur von den knirschenden Geräusch seiner Stiefel im Schnee gestört wurde.

"JAANAAAA!"
Nichts.
Tief geduckt unter der weißen Last scharrten sich die Bäume um den kleinen Pfad, den er hastig beschritt.
Immer wieder glitten seine Blicke suchend zwischen den Stämmen umher.
Tasteten das weiße Tuch ab, das scheinbar unberührt sich vor ihm ausbreitete.
Verzweifelt forschten seine Augen nach einer Spur, dem rettenden Hinweis.

Er vermochte nicht mehr einzuschätzen, wie lange er bereits durch durch die wilde Landschaft gehastet war.
Müdigkeit breitete sich in seinen Gliedern aus und der Schritt verlangsamte sich zusehends.
Sein Herz pochte rasend und schwer ging der Atem.
Graue Wolken ausgestoßenen Hauchs, die sich in der Luft verloren.

Erschöpft blieb er stehen und sank auf die Knie.
Einen kurzen Moment der Ruhe würde er sich gönnen.
Vor seinen Augen flirrte die Luft, verschwamm und bildete farbige Formen.
Verwirrt schüttelte er den Kopf, der ihm auf die Brust zu sinken drohte.
Schwer die Augenlider.

Mit einem Mal glaubte er irgendwo in naher Ferne eine Gestalt zu erkennen.
Abermals schüttelte er den Kopf als wollte er die Erschöpfung vertreiben, die sich seiner Sinne zu bemächtigen schien.
Doch wie sehr er sich auch bemühte, das Bild wurde seinen Augen nicht entrissen.
Zwar nur schemenhaft erkennbar, aber eine Frau in langen, weißen Gewändern gehüllt.
So weiß wie ihr Haar, das in breiten Bahnen über die Schultern fiel.
Auf ihrem ebenmäßigen Gesicht schien ein Lächeln zu liegen.
"So wunderschön...", durchströmte ihn der Gedanke.

Als bedeutete sie ihm zu folgen, drehte sich die Erscheinung und bewegte sich zwischen Bäumen hindurch.
Mühsam erhob er sich und folgte ihr schleppenden Schrittes.
Einem unwirklichen Drang folgend.

Mehr stolpernd als aufrecht gehend führte es ihn in den Wald hinein.
Es mochten Minuten vergangen sein, als sich die Bäume zurückzogen und den Blick auf eine Lichtung freigaben.
Mit einem Mal spürte er, wie sich die Lebensgeister wieder seiner bemächtigten und ein warmer Strom kraftvoll die Glieder flutete.
Vorsichtig betrat er das Rund und bemerkte friedlich ruhend eine Gruppe Wölfe.
Starke, stolze Tiere mit dichtem, weißen Fell.
Dunkle, warme Augen musterten ihn und ließen die Furcht verblassen.
Vorsichtig trat er näher und sogleich öffnete sich die Gruppe und gab den Blick auf ein Kind frei.
Friedlich schlafend ruhte das Mädchen auf einem Bett aus Zweigen.

"Jana!", rief er mit tränenden Augen.
Das Kind schlug die Augen auf.
"Papa!"
Ein fröhlicher Ausdruck umspielte ihr Gesicht, während sie aufsprang und sich in seine Arme warf.
"Papa, nicht traurig sein, sie haben mich beschützt."

Im Freudentaumel versunken umarmten sie sich und ließen dann suchend ihre Blicke schweifen.

Zwischen den Bäumen mattscheinend eine weiße Gestalt zu erahnen, die lächelnd entschwand - eine Gruppe weißer Wölfe ihr folgend.

© by P.H.

Sonntag, 18. Dezember 2011

Weihnachten 2.0

"Wie mir das auf den Sack geht", stöhnt Santa.
Er nimmt einen tiefen Zug von der mächtigen Tüte, die zwischen seinen Lippen klebt und beobachtet den aufsteigenden Rauch.
Süßlicher Geruch durchströmt die Höhle. Ruprecht schaut ihn mit glasigem Blick an und wiegt bedächtig den Kopf.

"Hättest Dir vorher die Stellenbeschreibung gründlicher durchlesen sollen."
"Hör mal, wenn Du jahrelang von der Hand in den Mund lebst, bist Du dankbar für jedes Angebot."
Ruprecht grinst und schraubt den Verschluss der Whiskeyflasche auf. Goldbraun plätschert die Flüssigkeit in das hohe Kristallglas.

"Rente?"
Santa zuckt mit den Schultern.
"Keine Ahnung, stand nichts im Vertrag dazu."
"Naja, immerhin ist es krisensicher", spöttelt Ruprecht und nippt an dem Glas.
"Von Auslandseinsatz und Reisebereitschaft war die Rede. Hätte ich gewusst, dass das heißen würde, sich am Nordpol den Arsch abzufrieren..."

Ruprecht stößt ein glucksendes Lachen hervor.
"Hey, sieh mal die Vorteile: Prima Luft, ein Dach über dem Kopf und Dienstfahrzeug."
"Dienstfahrzeug? Nicht Dein Ernst. Diesen vorsintflutlichen Schlitten mit Rentierantrieb? Einen nikolausroten Hummer mit weißem Vinyldach hatte ich beantragt."
"Und?"
"Nix und. Abgelehnt", entgegnet Santa seufzend und nimmt einen weiteren Zug an der Tüte.
"Mit welcher Begründung?"
"Ach, Image, Vorbildfunktion, Klimaerwärmung und so."
"Naja, verständlich."
"Ach, verständlich", schnaubt Santa, "dann auch noch diese alberne Dienstkleidung. In dem Outfit tendieren Deine Chancen bei den Bräuten gegen Null."

"Jetzt lass doch mal dieses Gejammer. Andere wären froh, hätten sie Deinen Job. Immerhin hast Du die meiste Zeit des Jahres frei. Bei vollem Lohnausgleich."
"Ist auch der einzig positive Aspekt, ansonsten hätte ich schon längst gekündigt."

Leichtfüßig betritt Angelina den Raum. Santa heftet seine wohlwollende Blicke auf ihre Gestalt und den Formen, die sich unter dem Hauch von Engelsgewand abzeichnen.
"Santa, Schatz, ein neuer Auftrag. Ich weiß, eigentlich hättest Du schon Feierabend, aber sei doch bitte so lieb."
SIe lächelt verführerisch und stöhnend erhebt sich Santa von dem Stuhl.
"Ok, weil Du es bist.."
"Die Überstunden bekommst Du zusätzlich vergütet und wenn Du zurück bist, werde ich Dir eine wohltuende Massage angedeihen lassen."
Ein zufriedenes Lächeln huscht über Santas Gesicht.
"Sicher, meine Liebe, bin schon im Einsatz!"
Sprach`s und war verschwunden.

"Der kommt bald wieder", grinst Ruprecht und hebt sein Glas in Agelinas Richtung, "Cheers - auf Weihnachten."

© by P.H.

Festliche Szenen

"Wann kommt denn diese Vollfluppe von Weihnachtsmann?"
Der Sprößling hat den Kopf in den Kamin gesteckt und leuchtet mit seiner LED-Lampe den Schacht aus.
"Geh da weg", ruft Mutter wobei sie die Worte langsam und gedehnt spricht.
Das Reden erfordert die ganze, eierlikörgetrübte Konzentration. Der Blick ihrer glasigen Augen ist dabei starr auf die Mattscheibe gerichtet.
Vater thront in seinem Sessel und starrt ebenso gebannt auf die Flimmerkiste.
Penetrant fröhliche Menschen tanzen über den Bildschirm und trällern stimmungshaltige Volksweisen.
Reichlich funkelnder Glitzer und Kunstschnee rieseln horizontal über das Gerät.
Der dauergrinsende Moderator ignoriert gekonnt das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Publikums und reitet Attacken gegen den guten Geschmack.

Schwiegermutter hat sich abgemeldet. Schon vor Stunden.
Ihr Kopf ruht auf der Brust und ohrenbetäubendes Schnarchen dringt aus der Kehle.
Vater fummelt wieder an der Fernbedienung, um das Sägewerk zu übertönen.
Junior schiebt sich Weihnachtsgebäck in den Mund und beobachtet interessiert wie sich der Speichel an Schweigermutters Kinn sammelt und auf ihr Kleid tropft.
Irgendwie fühlt er sich an den Bernhardiner der Nachbarn erinnert.

Als es klingelt springt Junior auf und sprintet zu Tür.
Im Eingang steht ein älterer Herr. Freundlich lächelt er ihn an während er den weißen Rauschebart streicht.
Einzelne Schneeflocken haben sich auf Mütze und Jacke seiner roten Bekleidung niedergelassen
"Hohoho, mein Kleiner, drauß´ vom Walde komm ich her."
Der Kleine schaut ihn an und verzieht das Gesicht.
"Alter, wie siehst Du denn aus?"
Sichtlich irritiert und mit gefrirendem Lächeln stammelt der Besucher: "Aber...aber... ich bin doch der Weihnachtsmann."
"Maaan, mach doch keinen auf Laberkasper. Santa ist cool, der kommt durch den Kamin."
Dabei misst er ihn mit abschätzigem Blick.
"Ach, weißt Du, die Knochen...ist alles nicht mehr so wie früher..."

In desem Moment schallt Vaters genervte Stimme aus dem Wohnzimmer: "Wer hat denn da geklingelt?"
"So´n Kalkbunker im Strampelkostüm", tönt Juniors Stimme durch den Flur.
"Was will der denn?"
"Keine Ahnung, meint, er wäre der Weihnachtsmann."
Aus dem Wohnzimmer dringt Gelächter.
"Sag ihm, wir kaufen nichts. Auf dem Regal in der Küche steht noch ein Jägermeister - gib ihm das."
Junior spurtet los, holt das Fläschchen und wirft es dem Besucher zu.
"Da, Alter, hau rein und nerv net mehr."
Mit lautem Knall wirft er die Tür ins Schloss und trabt zurück in das Wohnzimmer.

Mutter schaut ihn an und schüttelt den Kopf.
"Du sollst doch nicht immer so laut die Türen schlagen."
Das Sprechen fällt ihr sichtlich schwer.
Junior ignoriert sie, schnappt sich seine Lampe und stiefelt zum Kamin.

© by P.H.

Samstag, 10. Dezember 2011

Sommerloch

Es war einer dieser extrem heißen Sommertage. Die Luft flimmerte über dem Asphalt und ließ Phantasiegebilde entstehen.
"Pass auf, Papa", hatte meine Tochter gesagt, "denk an die Sommerlöcher."
Ich nickte ihr grinsend zu, schnallte den Helm um und schwang mich auf das Mountainbike.
"Keine Sorge, Prinzessin", rief ich ihr zu und steuerte das Rad aus dem Hof.
"Bis später !"

Warmer Wind strich mir entegegen, die dicken Profilreifen sangen eine wohklingende Melodie auf dem Straßenbelag.
Rundum zufrieden drückte ich den Knopf des mp3-Players und spürte das Adrenalin durch den Körper strömen, als die Beats meine Trommelfelle erreichten. Schnell ließ ich die Häuser hinter mir und rollte über einsame Asphaltpisten dem Wald entgegen.

Es mochte eine halbe Stunde vergangen sein, als die kleine Straße eine enge Kurve beschrieb und ich die Bremse betätigte, um in angemessener Geschwindigkeit die Kehre zu nehmen.
Zu spät war das Loch in der Fahrbahn zu erkennen, das sich plötzlich unmittelbar hinter der Biegung vor mir auftat. Die kraftvolle Betätigung der Hebel hatte zur Folge, dass die Räder blockierten und ich in einem eleganten Bogen über mein Bike katapultiert wurde. Im Ansatz des unfreiwilligen Kopfsprunges sah ich die Straßenöffnung auf mich zukommen, als mich Dunkelheit verschluckte. Es mochten nur wenige Sekunden Fall vergangen sein, als ich unsanft aber nicht hart aufschlug. Irgend etwas hatte meinen Sturz gedämpft.

Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass der Boden mit Unmengen von Stroh bedeckt war. Meine Ellenbogen schmerzten, offensichtlich hatten sie unter dem Aufprall leiden müssen. Ich spähte nach oben und sah über mir die Öffnung, durch die ich gestürzt war. Unerreichbar weit - es mochten gut und gerne 20 Meter sein.
Der höhlenartige Raum, in dem ich mich befand, schien gewaltige Ausmaße zu haben. Wände oder andere Begrenzungen waren auf den ersten Blick nicht auszumachen. Vorsichtig versuchte ich aufzustehen und bemerkte erleichtert, dass nichts gebrochen zu sein schien.

"Willkommen in deinem Sommerloch !"
Erschrocken fuhr ich herum und erspähte in einiger Entfernung eine kleine Gestalt, die sich hinter einem tischartigen Gebilde räkelte.
"Tritt näher und nimm Platz, mein Freund"

Ich schlurfte zu dem Wesen und bezog auf dem strohbedeckten Boden gegenüber Position. Das Männlein schien mir von kleiner Statur zu sein, offensichtlich sehr betagt und das Gesicht kaum auszumachen, wurde es doch von einem wild wuchernden, weißen Bart nahezu vollständig verdeckt. Lediglich zwei fröhliche Augenpaare blickten mich neugierig an.

"Na, hättest du mal auf deine Tochter gehört", sagte das Wesen.
Ich seufzte und nickte mit dem Kopf.
"Ja, in solchen Dingen hat sie wohl seherische Fähigkeiten."

Der Alte verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen und zog zwischen den Falten seiner Kutte ein Kartenspiel hervor. "Five Card Draw ?", fragte er und ließ die Karten zwischen seinen Fingern tanzen.
Ich dachte kurz nach, lag doch meine Pokerzeit schon lange zurück. Landschulheim 1982 mochte es gewesen sein.
"Ist das die Variante mit 5 verdeckten Karten und 3 Tauschrunden ?", fragte ich. Er nickte und begann auszuteilen.

"Du spielst nicht - wie kommt das ?", hakte er nach.
"Naja, schlechte Erfahrungen gemacht", antwortete ich.
"Erzähle mir davon", forderte er mich auf.
"Es war diese Sache, als meine Freundin mal aufschnappte, wie ich von Sabine und Michaela schwärmte."
Der Alte runzelte fragend die Stirn.
"Naja, ich erklärte ihr, dass es sich um ein Damenpärchen handeln würde, mit dem ich vergangene Nacht die Pokerrunde gewinnen konnte."
"Ja und ?"
"Als ich am nächsten Tag nach Hause kam, erwartete mich meine Freundin mit einem Koffer in der Hand - das Damenpärchen hatte angerufen..."
Der Alte grinste, "Verstehe."

Das Spiel begann und die Siegerfront wechselte ständig. Im letzten und entscheidenden Durchgang war mir das Glück hold.
Ich zog die grüne 4 und eine “Du kommst aus dem Gefängnis frei”- Karte, er erwischte den schwarzen Peter und warf wutschnaubend das Blatt auf den Tisch. "Ok, du hast gewonnen."

Erleichtert wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Im nächsten Moment fand ich mich auf der Straße wieder. Mein Bike nur wenige Schritte von mir entfernt und weit und breit keine Straßenschäden zu erkennen.

Ich schwang mich auf das Rad und trat den Heimweg an. Keine Silbe über mein Erlebnis zu Hause.
Eines ist gewiss: Künftig werde ich meiner Tochter mehr Gehör schenken und mich mit offenen Augen durch die Landschaft bewegen.

© by P.H.