Selina fischte im Trüben. Das störte sie allerdings nicht sonderlich, da
die Algen an der Oberfläche schwammen. Sie fuhr mit dem Kescher durch
den kleinen Teich in ihrem Garten und fing einige der lästigen Pflanzen
auf. Es hatte einige Mühe gekostet, sie vorher vom Untergrund zu lösen.
Ziemlich feucht war sie dabei geworden. Sogar in die Gummistiefel war
das Wasser gelaufen. Nichts, was sie allerdings wirklich störte, war es
doch mehr als warm unter der glühenden Julisonne und das kühle Nass eine
durchaus willkommene Erfrischung.
Eine Erkenntnis, auf die sie
kein Monopol besaß. Auch einige Bewohner des Taschenozeans wussten die
belebende Wirkung des flüssigen Elementes durchaus zu schätzen. Die
hatten sich jetzt aber am Rande des Gewässers versammelt und
beobachteten argwöhnisch ihr Treiben - Frösche. Eine Handvoll
Gartenkermits, die sich nun die Sonne auf den glitschigen Pelz scheinen
ließen und ihre Aktivitäten mit knarrenden Lauten kommentierten. Ob als
Soloeinlage oder auch im Chor – sie quakten, was die Kehlen hergaben.
Selina
störte das nicht. Sie war an die lautstarken Balzkonzerte der grünen
Backenbläser gewöhnt und empfand es sogar als unterhaltsame Abwechslung
zu der üblichen Geräuschkulisse. Allemal angnehmer als das Dauergekläffe
des Nachbarhundes oder den geifernden Endlostiraden aus dem Nebenhaus.
Frau Schnarrhuber, die ihren senilen Ehemann verbal attackierte, was
dieser mit stoischer Gelassenheit bedachte. Schwerhörigkeit mag in
Ausnahmefällen ein Segen sein.
Selina zuckte zusammen. Einer der
sprungfreudigen Teichbewohner hatte sich im Netz verfangen und zappelte
nun hilflos in den Maschen. Sie zog den Kescher aus dem Wasser und
griff nach dem Lurch, der sich in verzweifelten Bewegungen zu befreien
suchte. Selina sprach beruhigend auf ihn ein und fasste den glitschigen
Gesellen. Dieser schien sie beinahe flehend aus seinen Kugelaugen
anzusehen.
„Hey mein grüner Freund, nun mal Schongang. Rettung naht.“
Einer
spontanen Eingebung folgend, führte sie das Geschöpf zu sich heran und
küsste ihn auf das breite Maul. Ob es eine besondere Form von
Mutterinstinkt oder aus reiner Neugier geschah, vermochte sie im
Nachhinein nicht mehr zu sagen. Sicher ist jedoch, dass sie mit dem
Folgenden nicht gerechnet hatte, denn begleitet von einem lauten Knall
verwandelte sich der eben noch handkompatible Vierfüßer in einen
ausgewachsenen Zweibeiner. Weniger handlich und mindestens so überrascht
wie sie, fand er sich in Rückenlage auf dem Rasen des Gartens wieder.
Immer noch zappelnd und mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie aus
Bodenlage an.
„Hoppla, das tut mir leid“, entfuhr es ihr.
„Und mir erst“, entgegnete der Kerl am Boden, „das war echt unnötig.“
„Maan, das konnte ich doch nicht ahnen.“
„Himmel, hattest Du keine Mutter, die Dir abends vor dem Schlafengehen Märchen vorgelesen hat?“
„Schon, aber das waren doch Märchen, keine Realität.“
Der Ex-Frosch stand auf, schüttelte sich und deutete mit einem Finger auf seine Brust:
„Und
was ist das? Im Übrigen wäre es nett, Du würdest mir mal wenigstens
eine Hose organisieren. Könnte Fragen aufwerfen, wenn ein unbekleideter
Mann in Deinem Garten gesehen wird.“
Selina errötete, wandte sich ab und trabte zum Haus.
Im Gehen rief sie ihm noch zu:
„Warte, bin gleich zurück. Außerdem habe ich auch gar nicht geschaut.“
Tatsächlich
war es nicht vermeidbar gewesen. Als er da am Boden lag, hatte sie sehr
wohl seine Erscheinung registriert und diese war weit davon entfernt,
in die Kategorie „Märchenprinz“ aufgenommen zu werden. Sein kleiner
Prinz war ein solcher und insgesamt war der Mann eher von pummeliger
Statur. Ziemlich hummelartige Hüften, kahl und die Mundpartie erinnerte
sie heftig an Mick Jagger, dem Frontmann der Rolling Stones. Außerdem
hatte er diesen kehligen Tonfall, der seine Herkunft nicht verleugnen
ließ.
Selina wühlte in ihrem Kleiderschrank und fand schließlich
eine Trainingshose, deren Herkunft ihr nicht mehr nachvollziehbar
schien. Vermutlich irgendein Ex-Lover, der diese wohl bei ihr vergessen
haben mochte.
Sie griff nach dem Kleidungsstück, schloss den Schrank und ging zurück in den Garten.
„Wie heißt Du eigentlich?“, fragte sie, während er sich in die Hosen zwängte.
„Keine Ahnung, denk Dir etwas aus.“
„Ok, ich werde Dich Lummi nennen.“
„Meinetwegen“, brummte er, „wie geht das denn jetzt hier weiter?“
„Keine Ahnung, ist eine ungewohnte Situation und ich habe keinerlei Erfahrung mit der Domestizierung von Ex-Fröschen.“
„Witzig“,
entgegnete er, „wieder mal typisch Menschheit. Schreiben Geschichten
über Verwandlungen, legen aber keine Gebrauchsanweisungen bei.“
Selina zuckte mit den Schultern.
„Nun mecker mal nicht. Ist gar nicht übel auf dem Festland und die Verköstigung ist echt abwechslungsreicher.“
Lummi schaute sie aus großen Glubschaugen an und seufzte.
„Eigentlich wäre es mal an der Zeit für eine Diät.“
Selina grinste.
„Komm, ich zeige Dir Dein neues Heim. Wirst ja jetzt wohl eine Unterkunft brauchen.“
Sie
begann sich in Richtung des Hauses zu bewegen. Er folgte ihr gehorsam
und die anschließende Führung nahm er mit großem Interesse auf.
In
den kommenden Wochen erwies sich Lummi als pflegeleichter Gast. Sein
Schlafquartier wurde das Badezimmer, wo er sich zur Nachtruhe in die
gefüllte Badewanne bettete. Als sehr nützlich empfand Selina seine
Fähigkeit, umherschwirrende Fliegen mit dem Mund aus der Luft zu fangen,
die er mit großem Genuss anschließend verspeiste. Ebenso nahm er sich
all der anderen Insekten an, die ungebetener Weise in den heimischen
Wänden gastierten.
Einzig sein Verhalten in der Öffentlichkeit
erschien ihr punktuell verbesserungswürdig. So pflegte Lummi bei
Erspähen eines ansprechenden Menschenweibchens seine Backen aufzublasen
und knarrende Laute von sich zu geben. Der Erfolg dieser geräuschvollen
Aufmerksamkeitsbekundungen war tendenziell desillusionierend. Es reichte
von empörten Blicken bis hin zu deftigen Unmutsäußerungen. Selina war
davon meist peinlich berührt und gab den Opfern zu verstehen, es würde
sich bei ihrer Begleitung um einen entfernten Verwandten aus den
bayrischen Alpen handeln, der nun in die Zivilisation eingegliedert
werden sollte.
Tatsächlich war es für beide eine schwierige
Phase und immer wieder gab Lummi zu verstehen, wie sehr er sich doch
nach der unbeschwerten Zeit unter seinen Artgenossen zurücksehnte. Dann
schwärmte er von Sonnenbädern am Teichrand und gemeinsamem Musizieren
oder auch dem Dahintreiben auf dem Wasser, den Bauch zum Himmel
gerichtet.
Es war einer dieser lauen Sommerabende als sie gemeinsam an dem Gartengewässer saßen und Lummi Fliegen aus der Luft schnappte.
„Schau mal, Deine Kollegen. Meinst Du, die vermissen Dich?“
Einige
Frösche hatten sich in unmittelbarer Nähe zum gemeinschaftlichen
Chillen eingefunden und gaben dabei ihr übliches Ständchen zum Besten.
„Die da mochte ich immer sehr gerne“, sagte er und deutete auf einen der Langbeiner, „eine echt coole Lady.“
Mit
einem überraschenden Satz sprang er zu dem Tier. Blitzartig fuhr seine
Hand aus und im nächsten Moment hielt er die Froschdame zischen seinen
Fingern.
Er grinste breit und führte sie zu seinem Mund.
„Einen Kuss, meine Dame.“
Bevor
Selina reagieren konnte, war es geschehen. Seine Lippen trafen ihr Maul
und im nächsten Moment fand sich Lummi, unter lauten Knall, wieder in
einen Frosch verwandelt. Selina sah noch, wie Lummi einen gewaltigen
Satz vollführte und kopfüber in das Becken sprang. Es schien ihr, als
hätte er ihr dabei mit einem seiner Beine noch zugewinkt. Dann war er
verschwunden.
Sie seufzte leise.
„Typisch Mann. Kaum kreuzt eine andere Frau den Weg, dann tauchen sie ab.“
Nachdenklich, aber nicht ohne eine kleine Portion Erleichterung, stand sie auf und begab sich in das Haus.
„Andererseits, das mit den Froschkönigen wird auch gnadenlos überschätzt“, murmelte sie dabei vor sich hin.
© by P.H.
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