Dienstag, 28. April 2015

Schon mal einen Frosch geküsst?

Selina fischte im Trüben. Das störte sie allerdings nicht sonderlich, da die Algen an der Oberfläche schwammen. Sie fuhr mit dem Kescher durch den kleinen Teich in ihrem Garten und fing einige der lästigen Pflanzen auf. Es hatte einige Mühe gekostet, sie vorher vom Untergrund zu lösen. Ziemlich feucht war sie dabei geworden. Sogar in die Gummistiefel war das Wasser gelaufen. Nichts, was sie allerdings wirklich störte, war es doch mehr als warm unter der glühenden Julisonne und das kühle Nass eine durchaus willkommene Erfrischung.

Eine Erkenntnis, auf die sie kein Monopol besaß. Auch einige Bewohner des Taschenozeans wussten die belebende Wirkung des flüssigen Elementes durchaus zu schätzen. Die hatten sich jetzt aber am Rande des Gewässers versammelt und beobachteten argwöhnisch ihr Treiben - Frösche. Eine Handvoll Gartenkermits, die sich nun die Sonne auf den glitschigen Pelz scheinen ließen und ihre Aktivitäten mit knarrenden Lauten kommentierten. Ob als Soloeinlage oder auch im Chor – sie quakten, was die Kehlen hergaben.

Selina störte das nicht. Sie war an die lautstarken Balzkonzerte der grünen Backenbläser gewöhnt und empfand es sogar als unterhaltsame Abwechslung zu der üblichen Geräuschkulisse. Allemal angnehmer als das Dauergekläffe des Nachbarhundes oder den geifernden Endlostiraden aus dem Nebenhaus. Frau Schnarrhuber, die ihren senilen Ehemann verbal attackierte, was dieser mit stoischer Gelassenheit bedachte. Schwerhörigkeit mag in Ausnahmefällen ein Segen sein.

Selina zuckte zusammen. Einer der sprungfreudigen Teichbewohner hatte sich im Netz verfangen und zappelte nun hilflos in den Maschen. Sie zog den Kescher aus dem Wasser und griff nach dem Lurch, der sich in verzweifelten Bewegungen zu befreien suchte. Selina sprach beruhigend auf ihn ein und fasste den glitschigen Gesellen. Dieser schien sie beinahe flehend aus seinen Kugelaugen anzusehen.
„Hey mein grüner Freund, nun mal Schongang. Rettung naht.“
Einer spontanen Eingebung folgend, führte sie das Geschöpf zu sich heran und küsste ihn auf das breite Maul. Ob es eine besondere Form von Mutterinstinkt oder aus reiner Neugier geschah, vermochte sie im Nachhinein nicht mehr zu sagen. Sicher ist jedoch, dass sie mit dem Folgenden nicht gerechnet hatte, denn begleitet von einem lauten Knall verwandelte sich der eben noch handkompatible Vierfüßer in einen ausgewachsenen Zweibeiner. Weniger handlich und mindestens so überrascht wie sie, fand er sich in Rückenlage auf dem Rasen des Gartens wieder. Immer noch zappelnd und mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie aus Bodenlage an.
„Hoppla, das tut mir leid“, entfuhr es ihr.
„Und mir erst“, entgegnete der Kerl am Boden, „das war echt unnötig.“
„Maan, das konnte ich doch nicht ahnen.“
„Himmel, hattest Du keine Mutter, die Dir abends vor dem Schlafengehen Märchen vorgelesen hat?“
„Schon, aber das waren doch Märchen, keine Realität.“
Der Ex-Frosch stand auf, schüttelte sich und deutete mit einem Finger auf seine Brust:
„Und was ist das? Im Übrigen wäre es nett, Du würdest mir mal wenigstens eine Hose organisieren. Könnte Fragen aufwerfen, wenn ein unbekleideter Mann in Deinem Garten gesehen wird.“
Selina errötete, wandte sich ab und trabte zum Haus.
Im Gehen rief sie ihm noch zu:
„Warte, bin gleich zurück. Außerdem habe ich auch gar nicht geschaut.“

Tatsächlich war es nicht vermeidbar gewesen. Als er da am Boden lag, hatte sie sehr wohl seine Erscheinung registriert und diese war weit davon entfernt, in die Kategorie „Märchenprinz“ aufgenommen zu werden. Sein kleiner Prinz war ein solcher und insgesamt war der Mann eher von pummeliger Statur. Ziemlich hummelartige Hüften, kahl und die Mundpartie erinnerte sie heftig an Mick Jagger, dem Frontmann der Rolling Stones. Außerdem hatte er diesen kehligen Tonfall, der seine Herkunft nicht verleugnen ließ.

Selina wühlte in ihrem Kleiderschrank und fand schließlich eine Trainingshose, deren Herkunft ihr nicht mehr nachvollziehbar schien. Vermutlich irgendein Ex-Lover, der diese wohl bei ihr vergessen haben mochte.
Sie griff nach dem Kleidungsstück, schloss den Schrank und ging zurück in den Garten.

„Wie heißt Du eigentlich?“, fragte sie, während er sich in die Hosen zwängte.
„Keine Ahnung, denk Dir etwas aus.“
„Ok, ich werde Dich Lummi nennen.“
„Meinetwegen“, brummte er, „wie geht das denn jetzt hier weiter?“
„Keine Ahnung, ist eine ungewohnte Situation und ich habe keinerlei Erfahrung mit der Domestizierung von Ex-Fröschen.“
„Witzig“, entgegnete er, „wieder mal typisch Menschheit. Schreiben Geschichten über Verwandlungen, legen aber keine Gebrauchsanweisungen bei.“
Selina zuckte mit den Schultern.
„Nun mecker mal nicht. Ist gar nicht übel auf dem Festland und die Verköstigung ist echt abwechslungsreicher.“
Lummi schaute sie aus großen Glubschaugen an und seufzte.
„Eigentlich wäre es mal an der Zeit für eine Diät.“
Selina grinste.
„Komm, ich zeige Dir Dein neues Heim. Wirst ja jetzt wohl eine Unterkunft brauchen.“
Sie begann sich in Richtung des Hauses zu bewegen. Er folgte ihr gehorsam und die anschließende Führung nahm er mit großem Interesse auf.

In den kommenden Wochen erwies sich Lummi als pflegeleichter Gast. Sein Schlafquartier wurde das Badezimmer, wo er sich zur Nachtruhe in die gefüllte Badewanne bettete. Als sehr nützlich empfand Selina seine Fähigkeit, umherschwirrende Fliegen mit dem Mund aus der Luft zu fangen, die er mit großem Genuss anschließend verspeiste. Ebenso nahm er sich all der anderen Insekten an, die ungebetener Weise in den heimischen Wänden gastierten.
Einzig sein Verhalten in der Öffentlichkeit erschien ihr punktuell verbesserungswürdig. So pflegte Lummi bei Erspähen eines ansprechenden Menschenweibchens seine Backen aufzublasen und knarrende Laute von sich zu geben. Der Erfolg dieser geräuschvollen Aufmerksamkeitsbekundungen war tendenziell desillusionierend. Es reichte von empörten Blicken bis hin zu deftigen Unmutsäußerungen. Selina war davon meist peinlich berührt und gab den Opfern zu verstehen, es würde sich bei ihrer Begleitung um einen entfernten Verwandten aus den bayrischen Alpen handeln, der nun in die Zivilisation eingegliedert werden sollte.

Tatsächlich war es für beide eine schwierige Phase und immer wieder gab Lummi zu verstehen, wie sehr er sich doch nach der unbeschwerten Zeit unter seinen Artgenossen zurücksehnte. Dann schwärmte er von Sonnenbädern am Teichrand und gemeinsamem Musizieren oder auch dem Dahintreiben auf dem Wasser, den Bauch zum Himmel gerichtet.

Es war einer dieser lauen Sommerabende als sie gemeinsam an dem Gartengewässer saßen und Lummi Fliegen aus der Luft schnappte.
„Schau mal, Deine Kollegen. Meinst Du, die vermissen Dich?“
Einige Frösche hatten sich in unmittelbarer Nähe zum gemeinschaftlichen Chillen eingefunden und gaben dabei ihr übliches Ständchen zum Besten.
„Die da mochte ich immer sehr gerne“, sagte er und deutete auf einen der Langbeiner, „eine echt coole Lady.“
Mit einem überraschenden Satz sprang er zu dem Tier. Blitzartig fuhr seine Hand aus und im nächsten Moment hielt er die Froschdame zischen seinen Fingern.
Er grinste breit und führte sie zu seinem Mund.
„Einen Kuss, meine Dame.“
Bevor Selina reagieren konnte, war es geschehen. Seine Lippen trafen ihr Maul und im nächsten Moment fand sich Lummi, unter lauten Knall, wieder in einen Frosch verwandelt. Selina sah noch, wie Lummi einen gewaltigen Satz vollführte und kopfüber in das Becken sprang. Es schien ihr, als hätte er ihr dabei mit einem seiner Beine noch zugewinkt. Dann war er verschwunden.
Sie seufzte leise.
„Typisch Mann. Kaum kreuzt eine andere Frau den Weg, dann tauchen sie ab.“
Nachdenklich, aber nicht ohne eine kleine Portion Erleichterung, stand sie auf und begab sich in das Haus.
„Andererseits, das mit den Froschkönigen wird auch gnadenlos überschätzt“, murmelte sie dabei vor sich hin.

© by P.H.

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