Es liegt viele Jahre zurück, ein anderes Leben in einer anderen Tätigkeit, die mir heute so fern scheint.
Ich
hatte Nachtdienst. Es war zu fortgeschrittener Zeit, als das Telefon
klingelte und eine ältere Dame zur Verlegung angekündigt wurde. Es klang
nach einer Routinesache und so traf ich entsprechende Vorbereitungen -
Monitorplatz präparieren, Anlegen der üblichen Akte und all diese Dinge,
die eine Aufnahme eben erforderte.
Nur wenige Zeit später
öffneten sich die Automatiktüren und ein Bett wurde in den Gang
geschoben. Ich ging den Kollegen entgegen und ließ mir die Details
schildern - Herzinsuffizienz im fortgeschrittenen Stadium,
Überleitungsstörungen, lediglich Überwachung, keine weiteren Maßnahmen.
Kopfnickend nahm ich die Informationen entgegen und wandte mich der Dame
zu.
"Hallo...Sie sind bereits informiert worden, ich werde sie jetzt zur Kontrolle an einen Monitorplatz legen."
Unter
dem weißen Haarschopf blickte mir ein Gesicht entgegen, von
Lebenslinien markiert, müde, aber mit wachen Augen. In nahezu
aristokratischer Haltung hielt sie ihren Körper halb aufgerichtet im
Bett. Ohne Zweifel eine Persönlichkeit. Eine Dame durch und durch -
nicht zutreffender als hier wäre der Begriff angebracht gewesen. In
stiller Bewunderung nahm ich dieses zur Kenntnis und schob sie in das
Zimmer.
Sie ließ die übliche Prozedur der Aufnahme geduldig
über sich ergehen und während ich Elektroden platzierte und die Geräte
anschloss, wechselten wir einige Worte.
"Nein, ich habe keine Angehörigen. Kinder hatten wir nie und mein Mann ist vor einigen Jahren verstorben."
Es
war dies eine Biographie, wie ich sie schon viele Male gehört hatte und
mir doch jedesmal zu denken gab - die Vorstellung eines Lebens ohne
Familienbindung.
Das EKG zeigte kein erfreuliches Bild und
zeugte von einem Herzen, das tausend-, millionenfach geschlagen hatte
und nun erschöpft, seinen Dienst nicht mehr zu entrichten vermochte.
Sofort
begann der Monitor Alarm zu schlagen, erkannte die Maschine doch die
Unregelmäßigkeiten des Kreislaufes. Ich deaktivierte den Alarm und
setzte mich zu ihr auf den Bettrand.
Zahllose Menschen hatte ich
sterben sehen. Manche überraschend, manche nach qualvoller Zeit, manche
in Erwartung. Die Gesichter und Namen verschwimmen nach einiger Zeit,
nur einzelne Bilder bleiben im Gedächtnis. Ergreifende Momente.
Schmerzensschreie der trauernden Familienmitglieder, Menschen, die das
Loslassen fürchten.
Sie ergriff meine Hand.
"Es ist gut, ich bin bereit", ein stilles Lächeln huschte dabei über ihr Gesicht.
Selten
zuvor hatte ich eine solch gefasste Gelassenheit im Anblick des
nahenden Endes erlebt. Es schnürte mir die Kehle zu und das Sprechen
fiel mir schwer.
"Soll...ich bleiben ?"
Sie nickte feundlich und griff meine Hand fester.
Es
war dunkel im Zimmer. Nur das kleine Licht über dem Bildschirm ließ
Gesichtszüge erkennen. Vor dem halbgeöffneten Fenster malte die warme
Sommernacht ihre gedeckten Farben.
Wir saßen beinander und sprachen nur wenig. Worte waren nicht nötig und erschienen überflüssig.
Ich hielt noch ihre Hand, als der Monitor keine Herzaktivitäten mehr registrierte und ich ihn ausschaltete.
Das
sanfte Lächeln zeichnete noch ihr Gesicht, als ich vorsichtig meine
Hand löste. Ihr Atem hatte bereits vor Minuten gestoppt.
Während
ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln wischte, sah ich noch einmal in
das Gesicht dieser so erhabenen und gefassten Frau.
Ein Leben war zur Neige gegeangen. Nicht nur ein Leben, ihr Leben.
Leise schloss ich die Tür hinter mir, lehnte mich an den Rahmen und atmete tief durch, bevor mich wieder die Routine erfasste...
© by P.H.
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