Sonntag, 16. Dezember 2012

Das Mädchen ohne Schuhe


Der kleine Timmi fieberte. Nicht das erste Mal in diesem Jahr. Erst vor wenigen Wochen hatte ihn eine schlimme Lungenentzündung das Krankenlager hüten lassen. Gerade erholt, hatte ihn nun, wenige Tage vor dem Weihnachtsabend, erneut das Fieber gepackt.
Nicht nur Timmi bedauerte das, auch Mama war ziemlich traurig.
Lena sah es in den
sorgenvollen Blicken und müden Bewegungen, wenn sie mit ihr in der Küche
saß und Plätzchenformen aus dem Teig stanzte. Beiden fehlten dann die
kleinen, unbeholfenen Händchen ihres Bruders, die es ihnen nachzueifern versuchten und stolz eigenartige Gebilde in die Höhe hielten.
„Timmi hat eine Ente gemacht“, kam es aus seinem Mund und Lena musste
lachen, weil es eher einem Spiegelei ähnelte. Mama zauberte dann einen
bewundernden Ausdruck auf ihr Gesicht und lobte ihn.
„Timmi ist ein Teigkünstler“, sagte sie und strich ihm durch das mehlverzierte Haar. Später, als Papa nach Hause kam, hatte er ihm ebenfalls seine Arbeiten präsentiert, was ihm nochmals größte Anerkennung bescherte.
„Ein van Gogh der Weihnachtsbäckerei“, kommentierte dieser lächelnd. Timmi
wusste zwar nicht, was es bedeutete, fand aber dass es ziemlich gut klang. Den ganzen Abend war er dann mit stolz geschwellter Brust durch die Wohnung getapst. So, dass sich alle bei seinem Anblick kaum das Lachen verkneifen konnten und sich auch noch amüsierten als er bereits, völlig erschöpft von dem Küchenspektakel, freiwillig sein Bett aufgesucht hatte. 

Das kleine Bett, in dem er nun mit fiebrig rotem Gesicht und geschlossenen Augen lag. Mama saß neben ihm und tupfte mit einem nassen Lappen über sein Gesicht, da sich immer wieder feine Schweißperlen auf der Stirn bildeten.

„Lena“, sagte sie plötzlich, „kannst du bitte schnell mal in die Apotheke laufen und ein bestelltes Medikament holen? Ich habe hier einen Zettel, den gibst du dort ab.“
Lena griff nach dem Papier, das Mama aus der Tasche zog und steckte es ein.
„Klar, mache mich gleich auf den Weg.“
Sie dachte, dass es sicher nicht schlecht wäre, ein wenig frische Luft zu atmen und außerdem hatte sie das Gefühl, sich auf diese Weise nützlich machen zu können.
Lena schlüpfte in ihre warmen Winterstiefel, zog den Mantel über, wickelte sich einen Schal um den Hals und verließ die Wohnung.

Draußen war es bereits dunkel. Seit Tagen hatte es immer wieder geschneit, so dass der Schnee an ungeräumten Stellen beinahe kniehoch lag. Lena stapfte die Straße entlang, vorbei an den Häusern des Stadtviertels. In vielen der Fenster waren bereits farbenprächtige Lichtspiele mit weihnachtlichen Motiven angebracht, die bunt leuchteten. Normalerweise wäre sie langsam vorbei geschlendert und hätte das Spektakel in aller Ruhe auf sich wirken lassen. Dazu war heute aber keine Zeit und in der Stimmung war sie auch nicht.

So schritt sie zügig voran und hinterließ knirschend Spuren in dem frischen Schnee. Es war gar nicht so kalt, wie Lena zunächst befürchtet hatte und beherzt nahm sie den Weg durch den kleinen Stadtpark - vorbei an Rasenflächen, die ihr Grün unter einem dicken Schneemantel verborgen hielten und dem Teich, dessen Ufer an den Wegrand grenzten. Hell schimmerte die weiße Fläche des Weihers. In Glanz getaucht durch das Licht des Mondes, der hoch am Himmel einen silbernen Schein spendete. Die Kälte der vergangenen Tage hatte den Teich vollständig gefrieren lassen. Buntes Treiben herrschte hier am Tage, wenn die Kinder mit Schlittschuhen das Eis befuhren. Gar nicht zu vergleichen mit der gespenstischen Stille, die nun über dem Park lag. Es schien, als sei keine Menschenseele auf den Beinen.
So dachte Lena, als sie plötzlich aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Rande des Teiches bemerkte. Erschrocken fuhr sie herum und was sie sah, ließ sie erstaunt innehalten: Am Ufer des Weihers stand ein Mädchen und blickte auf das Eis hinaus. Verblüfft starrte Lena zu der Gestalt und bemerkte, dass sie lediglich ein Nachthemd zu tragen schien. Ein einzelnes Kleidungsstück, das ihr bis zu den Knien reichte. Weiß schimmerte es im Mondlicht und an den Füßen trug sie keine Schuhe. Barfuß stand sie im Schnee, der das Ufer bedeckte.
Lena fasste sich ein Herz und trat auf sie zu.
„He, du – alles in Ordnung mit dir?“
Das Mädchen drehte sich herum und sah Lena an. Sie mochte ungefähr ihre Größe haben. Das Gesicht von blasser Färbung, eingerahmt von hellem glatten Haar. Freundlich blickten sie sie aus dunklen Augen an.
„Ja, danke, es ist alles gut.“
Lena beäugte sie kritisch.
„Sag mal, ist dir denn nicht kalt? Möchtest du vielleicht meine Schuhe und Jacke haben? Ich wohne nicht weit weg von hier. Könnte es dir gerne geben.“
Das Mädchen lächelte Lena freundlich an.
„Nein, das ist nicht nötig. Mir ist nicht kalt. Ist denn bei dir alles in Ordnung?“
Skeptisch beäugte Lena die Erscheinung, konnte aber weder eine Gänsehaut, noch von Kälte verfärbte Hautpartien erkennen. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und seufzte.
„Naja, ich bin auf dem Weg in die Apotheke. Mein kleiner Bruder ist krank und braucht Medizin.“
„Das ist ziemlich traurig. Ganz sicher braucht er aber auch dich. Du magst ihn sehr, nicht wahr?“
Lena wischte mit dem Jackenärmel eine kleine Träne auf, die sich im Augenwinkel gebildet hatte.
„Ja, irgendwie ist es, als hätte er mit seinen kleinen Händchen eine Ecke meines Herzens genommen. Klar mag ich ihn und es macht mir Angst, dass er wieder krank ist.“
Lena fiel es zunehmend schwer zu sprechen. Das Mädchen ging einen Schritt auf sie zu und hob die Hand. Sanft strich sie über ihre Wange. Überraschenderweise fühlte es sich warm und wohltuend an.
„Ach, weißt du, manche Kinder werden auf einem Bett aus Distelzweigen geboren. Sie bedürfen unserer besonderen Aufmerksamkeit. Doch du wächst damit und die Stärke, die du gewinnst, gibst du auch zurück.“
Lena schaute das Mädchen an und im fahlen Mondlicht schien es ihr für einen Moment, als sehe sie die Erscheinung einer alten Frau. Einer sehr alten Frau, deren dünnes, silbriges Haar, sich um ein freundliches Gesicht spann, welches von Weisheit und vielen Lebensjahren geformt wirkte. Nur einen Augenblick, dann lächelte sie wieder das Mädchen an.
„Nun, gehe und mach deine Erledigungen. Deine Mutter wird sich sonst Sorgen machen.“
„Du hast recht“, bemerkte Lena erschrocken, „ich sollte mich beeilen. Danke für deine netten Worte.“
Hastig drehte sich Lena herum und stapfte in Richtung des Weges. Als sie diesen erreicht hatte, drehte sich sie sich herum, um den Mädchen zu winken, aber so sehr sie sich auch Ausschau hielt, es war niemand mehr zu sehen. Der Park schien wieder so menschenleer wie sie ihn vor der Begegnung erlebt hatte.

Lena erreichte wenig später die Apotheke, legte den Zettel vor und erhielt eine Packung, die sie sorgsam in ihrer Manteltasche verstaute. Rasch begab sie sich auf den Heimweg und war froh, als sie bald die Lichter des Hauses erblickte, in dem ihre Mutter schon auf sie wartete.
Lena schloss die Tür auf und im nächsten Moment blieb sie wie erstarrt auf der Türschwelle stehen. Geräusche drangen aus dem Kinderzimmer, Geräusche, die sie in große Überraschung versetzten und ihr Herz höher schlagen ließen. Deutlich waren lachende Laute zu vernehmen und es war Timmis Stimme, die da klang. Lautstark mischte sich diese mit der ihrer Mutter.
Hastig warf Lena ihre Winterkleidung ab, streifte die Stiefel von den Füßen, schleuderte sie in die Ecke und stürzte in Richtung der Stimmen.
Timmi saß inmitten eines Meeres aus Malpapier und reckte stolz einen Wachsmalstift in die Höhe. Als er seine Schwester erblickte, legte sich ein breites Lächeln über das Gesicht.
„Timmi ist wieder gesund.“
Dann hob er eines der Blätter in die Höhe, das ein buntes Linienwirrwarr zierte und zeigte darauf.
„Timmi hat geträumt. Von Lena und der Fee vom See. Guck mal.“ 
Lena blieben die Worte im Halse stecken. Sie lief auf ihren Bruder zu, hob ihn in die Höhe und drückte ihn an die Brust, bis er leise zu protestieren begann. Mama saß auf dem Rande von Timmis Bett und sah die beiden lächelnd an.
„Ich weiß nicht, was hier für Kräfte am Werk waren, aber tut gut, euch so zu sehen.“

Das folgende Weihnachtsfest war eines der schönsten, das die Familie erlebte und so oft Lena in der Folgezeit auch immer wieder den Teich in dem kleinen Stadtpark besuchte - das Mädchen ohne Schuhe sah sie nie wieder.

Dafür wurde aus dem kleinen Timmi im Laufe der Jahre ein großer Bruder. Hoch gewachsen und von kräftiger Statur. Krank wurde er nur noch selten und das besondere Band zwischen den Geschwistern blieb zeitlebens bestehen.

© by P.H.

Montag, 19. März 2012

Kinderaugen


Habt ihr schon mal in Kinderaugen geschaut?
Große, kugelrunde Bildersauger.
Manche voll wärmender Tiefe, andere von strahlender Leuchtkraft.
Der Halogenfluter im Wohnzimmer scheint dagegen nicht mehr wie eine traurige Grableuchte.

In gespannter Erwartung zu den großen Menschen aufschauend.
Hängen an deinen Lippen und blinzelnd verstehend.
Irgendwie bringt es dich zum Innehalten.
Dann denkst du darüber nach, wie es war als du mit Kinderaugen gesehen hast.
Vielleicht kannst Du es immer noch.
Ich wünsche es Dir.

© by P.H.

Montag, 20. Februar 2012

Sie war nicht das, was ich erwartet hatte...

Wir hatten uns virtuell angenähert. So richtig. Sie wusste, welches meine liebsten Antibiotika waren. Ich kannte ihre bevorzugte Einkommensteuer-Software. Die Hosen waren heruntergelassen. Eine reale Begegnung war nun unvermeidlich.
Ihr Profilbild war nett. Nett im Sinne von sympathisch und durchaus ansprechend. Ein fröhliches Gesicht mit kleinen Lachfalten um die dunklen Augen. Braunes, schulterlanges Haar, das sie vertrauenswürdig erscheinen ließ. "Könnte Hochwasserversicherungen verkaufen oder orthopädische Schuheinlagen", so meine Gedankengänge.
Die Telefonate hatten mich weichgekocht. Mehr Schnurren als Stimme. Eine dezente Einfärbung wie unter Einfluss von Single-Malt-Whisky und handgerollten, kubanischen Zigarren, aber ganz und gar nicht unweiblich. Eher phantasieanregend.

Sie kenne ein hübsches, ruhiges Cafe auf halber Distanz, hatte sie gesagt und dabei klang ihre Stimme wieder als würde eine Uhrmacherfeile über die Saiten einer Violine streichen.
Neugier wurde geweckt und andere, vergessen geglaubte Gefühlsregungen.

Das Navi hatte mich sicher geleitet und so lief ich schon vor der Zeit in den Laden ein. War wirklich eine geschmackvolle Lokalität - Truckertreff. Mit Postern von üppigen Damen in sehr sommerlicher Bekleidung und Plastikstühlen aus der Gartenabteilung eines Discounters. Die Musikbox am Ende der endlosen Theke ließ plärrend Countrymusik ertönen und der Wirt reichte mächtige Bierkrüge an die Anwesenden.
Ein solcher wurde mir auch ungefragt ausgehändigt während ich Platz in einer Ecke der Gaststube bezog.

Die intime Atmosphäre genießend ruhte mein Blick auf der Eingangstür als sich diese öffnete und eine Frau in den Laden gespült wurde. Typ Angelina Jolie. Groß, schlank, gesetzeswidrige Kurven und im Gegensatz zu ihrem prominentem Ebenbild eine wilde, blonde Mähne. Sie schaute sich suchend um, entdeckte mich und steuerte prompt auf den Tisch zu.
"Jana - wir kennen uns", sagte sie lächelnd und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.
Ich erwiderte die Begrüßung und deutete auf den Stuhl neben mir.
"Torben - setz Dich doch."
Sie bezog Position neben mir und schaute mich an.
"Und, was sagst Du?"
"Nun, ich hatte eine andere Vorstellung. Das Bild entspricht Dir so gar nicht.."
Jana lächelte wobei die vollen Lippen eine makellose Zahnreihe entblößten.
Ihr knappes Oberteil ließ den Blick auf eine üppige Naturtheke zu.
Anwesenden Herren schien dies ebenfalls nicht entgangen zu sein, wie die zahllosen, herumfahrenden Köpfe belegten.
Ein Männertraum, der sich an diesem Ort materialisiert hatte.

Ihre Hand ruhte nun auf meinem Oberschenkel.
"Du bist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe", flüsterte sie und die mandelförmigen Augen ruhten wohlwollend auf meinem Gesicht.
"Tja, allerdings habe ich meine Prinzipien."
Verwirrt musterte sie mich.
"Was meinst Du damit?"
"Nun, das Bild war eindeutig nicht von Dir. Geht gar nicht."
Sie zuckte zurück.
"Aber..."
"Lass gut sein", entgegnete ich und schob den Stuhl zurück.

Beim Hinausgehen wurde der Wirt von mir durch ein großzügiges Trinkgeld bedacht.

Auf der Heimfahrt genoss ich das erhabene Gefühl eiserner Prinzipientreue und erfreute mich an der hupenden Wagenkolonne im Rückspiegel während mein Gefährt beharrlich die linke Autobahnspur hielt. 90 km/h und Tempomat.

© by P.H.

Virtuelle Sackgassen

Brunhilde nennt sich LadyVaginante und steht auf Theobald.
Der nennt sich Knatterwilli64 und findet Brunhilde irgendwie nicht so entzückend.
Zu verlebt und anhänglich. Außerdem stalkt sie ihn.
Ist seine Meinung.

Theobald interessiert sich eher für Amina.
Die ist als Hupenstar_62 unterwegs, kann aber blöderweise Theobald nicht leiden.
Hat ihn gesperrt, weil er ihr üppige Pullermänner stickerte.
Mochte sie nicht. Hätte lieber Blumengrüße gehabt.
Theobald ist aber eine floristische Niete.
Pech.

Amina findet jedoch Gernot anziehend.
Also virtuell.
Der hat sich HopfenbalkonHH genannt und mag aber Amina nicht.
Die hat ihn mal bei der Wasserschlacht absaufen lassen.
Doofe Sache, weil Gernot ist nachtragend und meidet Flüssiges ohne Umdrehungen.
So kommt es, dass er Marla in seine engere Auswahl gezogen hat.

Marla ist nicht unbekannt.
Nennt sich Bratwurstfach und plaudert gerne.
Das ist auch das Problem.
Tut Gernot nämlich nicht so gerne.
Wenn überhaupt, dann redet er nur mit seinem Spiegelbild und auch nur nach ordentlichem Promilleanlauf.
Ist also nichts mit Marla.
Jedenfalls sie nicht mit ihm.
Marla schwört dagegen auf Hanno.

Ist ne echt coole Sau.
Hat sich als Geburtenratensponsor registriert und leidet unter einem Brauereitumor.
Stört Marla nicht, hat kein Problem mit Frikadellensilos.
Allerdings ist sie völlig kochblond.
Herdlegasthenikerin.
Geht für Hanno gar nicht.
Deshalb hat er Frieda ins Auge gefasst.

Die nennt sich Glockentheke und hat es leider nicht mit Hanno.
Eigentlich mit gar keinem Mann.
Steht nämlich auf Frauen.
Insbesondere auf Brunhilde.
Die ist als LadyVaginante aktiv und....
Shit...hatten wir schon.

Egal, lassen wir das.
Blickt ja eh keine Sau mehr durch.
Echt jetzt.

© by P.H

Donnerstag, 2. Februar 2012

Von saugenden Vampiren und anderen Wesen aus der Zwischenwelt

Es klingelt an der Tür. Schon wieder. Geht hier zu wie bei einer Flatrate-Party im Freudenhaus.
„Wunderschönen guten Tag, ich wollte Ihnen gerne unser neuestes Modell vorstellen – den Flusenvampir. Jetzt mit verbesserter Saugleistung und patentierter Milbenfalle.“
„Bitte“, antworte ich und lasse die Tür aufschwingen.

Die hübsche Rothaarige greift nach einem Koffer in Schrankwanddimensionen und drängt sich lächelnd an mir vorbei. Ein Hauch von Karibikduft weht dabei um ihre Erscheinung. Spontane Assoziationen, die einen Palmenstrand und unsere leicht bekleideten Körper zum Gegenstand haben, wische ich beiseite und zeige ihr den Weg in das Wohnzimmer, wo sich bereits eine illustre Runde um den Tisch versammelt hat.
„Nehmen Sie doch Platz.“

Der nervöse Herr mit der Hornbrille hält die aktuelle Ausgabe des Wachturms fest umklammert, als wollte er sie vor unreinen Berührungen schützen, rückt aber freundlich ein wenig zur Seite, um der der Lady Platz zu machen.
Verständlich – auch einen Mann züchtigster Gedankenstruktur wird die kurvenreiche Erscheinung nicht unbeeindruckt lassen. Verstohlen huscht sein Blick über ihr stupsnasiges Gesicht, das sich zu einem freundlichen Lächeln verzieht, wobei die vollen Lippen eine makellose Zahnreihe entblößen.
„Danke“, murmelt sie, was den Herrn verlegen zu Boden schielen lässt, wo er seine Schuhspitzen einer spontanen Inspektion unterzieht.

Unterdessen hat sie der Typ von der Drückerkolonne, in offensichtlich paarungsbereiter Gemütslage, visuell voll auf das Korn genommen. Fast scheint es, als würde er die Formen unter ihrem T-Shirt zum vollständigen Bodyscan auf seine mentale Festplatte sichern wollen. Den Mund halbgeöffnet, wirkt er dabei ziemlich primatenartig. Das anerkennende Brummen aus den Tiefen seines Rachens rundet den Eindruck gelungen ab.

Kopfschüttelnd beobachtet die ältere Dame mit der reichhaltigen Kollektion an kunststoffbasierten Küchenartikeln die Szenerie. Dabei rüttelt sie verärgert an ihrer Tasche, als wollte sie mit dem Klappern der dort versammelten Töpfchen und Döschen ihre Worte unterstreichen:
„Sie sollten sich was schämen, junger Mann. Zügeln sie ihre Blicke!“
„Is ja gut, Muttchen. Werde wohl mal nen Optikcheck fahren dürfen“, meint der Angesprochene und fährt sich mit knochigen Fingern durch die schwarzen, pomadeverstärkten Haarsträhnen, die straff zurückgelegt und ganz machoartig, den Kopf zieren.
„Is ja nicht verboten“, meint er grinsend.

„Kaninchenhampelmänner auch nicht“, lässt der Herr von der Versicherung vernehmen und nestelt hektisch an seinem Krawattenknoten als wollte er sich selbst strangulieren. Das gewaltige Doppelkinn schwingt im Rhythmus seiner Justierungsarbeiten hin und her. Wirkt ein wenig, als wäre es mit Götterspeise austamponiert.

„Bitte entschuldigen Sie mich noch einen Moment. Bin gleich bei Ihnen“, werfe ich in die Runde und verlasse den Raum.

Kritze sitzt bereits erwartungsvoll in der Küche und lässt ihren Schwanz auf dem Fliesenboden tanzen. Es dauert einen Moment, bis ich die Packung mit dem Katzenfutter lokalisiert habe. Der Kater streicht inzwischen fordernd um meine Beine herum und maunzt dabei deutliche Anwesenheitslaute. Ungeduldig taucht er seinen Kopf in den Futternapf während die Trockennahrung aus dem Karton rieselt. Kurz hebt das Tier seinen Blick noch und schaut mich aus schmalen Augen an. Man sagt, dass Katzen zwischen zwei Welten leben – im Hier und in jenem Reich, das sich unserer Vorstellung entzieht.
Vielleicht sollte ich den Kollegen mit dem Wachturm darauf ansprechen. Möglicherweise verfügt er diesbezüglich über weitergehende Informationen.
Für den Moment scheinen mir die grüngelben Sehschlitze lediglich Zustimmung signalisieren zu wollen.
„Mensch, du hast deine Aufgabe ordnungsgemäß verrichtet. Nun gehe.“
So etwa.
Also, wende ich mich wieder ab und trotte zurück in das Wohnzimmer.

Die versammelten Gäste haben sich inzwischen miteinander vertraut gemacht und zeigen sich ganz vertieft in anregenden Diskussionen.
Rotschopf hat ihr Fusselmoped an den Start gebracht und fährt nun gekonnt durch die ausgebreiteten Plastikexponate der älteren Dame. Diese nickt anerkennend, wobei die dauerwelleninduzierte Sauerkraufrisur im Takt schwingt. Lady Staubsauger lächelt zufrieden. Ganz so, als hätte sie soeben den Suppenwürfel erfunden.

Ähnlich wie der Typ von der Drückerkolonne. Nur, dass der eines seiner Magazine ausgebreitet hat und dem Herrn von der religiösen Front näher bringt. Dieser betrachtet interessiert das Spindbild einer barbusigen Dame in der Heftmitte und murmelt etwas von „wie der Herr sie schuf“.
Dabei rückt er nervös die Hornbrille auf seiner Nase zurecht. Vermutlich um die hydrantrote Färbung zu überspielen, die nicht nur seine Wangen, sondern auch die Ohren erfasst hat.

Vergleichbar zu der, die den mondgesichtigen Herrn von der Assekuranz befallen hat. Zweifellos bedingt durch die blutstauende Wirkung des Schlipsknotens, der ihn umklammert hält. Hektisch greift er in seine Aktentaschen, zieht einzelne Blätter hervor und tupft sich mit diesen den Schweiß von der Stirn.

Im nächsten Moment fährt Rotschopf herum und lässt das Endrohr ihres saugenden Ungetüms auf dem Tisch zum Liegen kommen. Mit röchelndem Laut verschwinden die soeben abgelegten Versicherungsunterlagen in dem Ansaugstutzen des Heulbesens.

Pures Entsetzen macht sich auf dem blutgestauten Gesicht des Herrn breit, dass dieser aufspringt und jammernd die Rückgabe seiner Dokumente fordert. Dabei stapft er tapsig vorwärts und vollführt eine astreine Punktlandung in der Schüsselkollektion, die sich unter der Last seines Gewichtes zu deformieren beginnt, was wiederum einen langgezogenen Quietschton des Schreckens bei der Besitzerin generiert.
„Den Schaden werden Sie mir ersetzen!“
„Keine Sorge, ist abgedeckt durch die Ramschversicherung“, stößt Mondgesicht hervor und versucht nach dem Staubsauger zu greifen.
„Ramsch???!“, schreit Sauerkrautkopf und versetzt ihm einen gleichgewichtsraubenden Stoß, der ihn der Länge nach auf den Tisch aufkommen lässt. Dieser sieht sich der auftreffenden Masse nicht gewachsen und zieht es vor, unter lautem Bersten, sich der Länge nach zu teilen.

Erschrocken springt der Herr der himmlischen Botschaften auf. Da, wo er soeben noch den bildlichen Beweis vollendeter Schöpfungskunst bestaunte, sieht er nun jene photografischen Kleinode von einem mächtigen Doppelkinn in die Tiefe gerissen.
„Was zum Teufel fällt Ihnen ein?!“
„Teufel?“, fällt da der Typ von der Pomadenfront ein.
„Sagten Sie eben Teufel?“, und grinst dabei über das ganze Gesicht.

Unter dem Einfluss des einsetzenden Fassungsverlustes versucht der Mann der Wachtürme über den Tisch zu steigen. Dabei streift er das immer noch aktive Endrohr des Staubsaugers, welches daraufhin herum schwingt und zwischen den Tischhälften zum Liegen kommt. Gierig beginnt es an der Krawatte des Versicherungströdlers zu saugen, was spontan eine Änderung der Gesichtsfärbung bei diesem bewirkt. Ein feiner Blauton beginnt sich nun um dessen Lippenpartie auszubreiten, begleitet von röchelnden Lauten der gepeinigten Seele.
Rotschopf springt sogleich auf und beginnt an ihrer Maschine zu hantieren, während die umstehenden Männer dem Opfer zur Hilfe eilen und den Kragen zu lockern suchen.

In diesem Moment ist das Geräusch eines Schlüssels zu vernehmen, der im Schloss gedreht wird. Ich wende mich ab, schreite in den Flur und versetze der Wohnzimmertür einen Tritt mit der Ferse, dass diese hinter mir zufällt.

„Hallo Frau Schnerzelmeier, alles glatt gegangen bei ihrem Arztbesuch?“
Sie lächelt mir wohlwollend zu, während sie ihre Tasche auf den Boden stellt.
„Aber ja, mein Junge, Alles prima und vielen Dank, dass Du Dich um Kritze gekümmert hast.“
„Kein Problem. Nachbarschaftsservice“, antworte ich und schlängele mich durch die geöffnete Tür in das Treppenhaus hinaus.

„Übrigens, sie haben Besuch. Die Gäste sind im Wohnzimmer untergebracht.“
„Merkwürdig“, meint sie stirnrunzelnd, „erwarte gar keinen Besuch.“
„Joa, sind wohl spontan erschienen, aber sehr nette Leute.“
Na dann - werde mal schauen, was die wollen. Wenn ich mich irgendwie bei Ihnen erkenntlich zeigen kann.“

Mit einem Fuß auf dem ersten Treppenabsatz bleibe ich kurz stehen und grinse sie an.
„Nö, aber…na ja, die Telefonnummer von der Lady mit der roten Mähne wäre irgendwie ok.“

Ich winke ihr zu und erklimme die Stufen Richtung heimische Wände.
Etwas verwirrt ist ihr Blick schon, als sie die Tür hinter sich schließt.

© by P.H.

Freitag, 20. Januar 2012

Schläfst Du schon oder schraubst Du noch?

Gar nicht lange her, da ist mir eine dumme Sache widerfahren.
Fing damit an, dass mir der Sinn nach einem neuen Bett stand. Groß und bequem
sollte es sein. Nicht mehr dieses Lattengestell aus Zeiten, als wir noch Schlaghosen trugen.

Erste Anlaufstelle ist stets dieses schwedische Möbelhaus. Eines immer in deiner Nähe. Hier war es das in der Rudi Völler-Stadt.
Jedenfalls hatten die da ein gefälliges Modell im King Size-Format. Keine Ahnung, wie das Ding hieß. Wasa Mjölk-Bett oder so.

Also machte ich mich auf den Weg und schoss die Beute in dem Laden.
Übliches Spiel: Wuchtest das Biest auf den Hackenporsche und tingelst zum Wagen.
Anschließend stehst du zusammen mit anderen Möbel-Waidmännern im Parkhaus und
versuchst fluchend das sperrige Unding in den Ladeschlund deiner Benzinkutsche zu drücken.

Ging natürlich nicht. Manche Männer kennen das Problem, wenn die entscheidenden Zentimeter wieder fehlen.
Ok, klingt jetzt irgendwie zweideutig, meine aber selbstverständlich die Kofferraumluke.
Wie auch immer - unter Abwurf der Umverpackung konnte ich die erlegten
Innereien erfolgreich verstauen und den Weg zur heimischen Höhle antreten.
Dort angekommen, ging es sogleich an die Errichtung der neuen Schlafstätte.
Schien mir keine sonderliche Herausforderung an einen talentierten Heimwerker. Also mich.
Nach eingehendem Studium der Anleitung stand dem Aufbau nichts mehr im Wege und so begann das Produkt alsbald Formen anzunehmen.

Unzählige Flüche später war das Werk vollendet und erstrahlte in voller Pracht. Eigentlich ein herzerwärmender Moment. Eigentlich. Wäre das Ergebnis nach meinen Vorstellungen gewesen.
War es aber nicht, weil zum Liegen völlig ungeeignet. Also, der Schuhschrank.
Nicht, dass ich etwas gegen Schuhschränke hätte, pflege ein harmonisches Verhältnis zu diesen, aber irgendwie hätte das Ergebnis ein anderes sein sollen.

„Kein Grund zur Verzweiflung“, sagte ich mir, „die Jungs von der Inbusfront werden das wieder gerade bügeln.“
Stieg also in meinen fahrenden Wertstoffhof und suchte erneut die skandinavische Holzwurmbehausung auf.

An der Reklamationssammelstelle ein strohblonder Jungspund mit Harry Potter-Brille hinter der Theke. Ziemlich aufgeweckt und engagiert. Hörte sich mein Anliegen aufmerksam an.
„Nicht ihr Ernst??“
Leider völlig ohne diesen lustigen Schwedenakzent und schaute mich dabei an, als hätte ich ihm gerade berichtet, der erste gebärende Mann zu sein.
„Doch. Falscher Leitfaden. Klare Sache.“
Zur Beweisuntermauerung wurden einige Aufnahmen von mir präsentiert, die ich zuvor vorsichtshalber mit dem Handy geschossen hatte.
„Ja, aber wie konnten sie das dann mit dem Material..?“
„Vorstellungskraft und Kreativität.“
Kopfschüttelnd verschwand er hinter der Theke und tauchte einige Minuten später mit einer Aufbauanleitung an, die er mir übergab. Immer noch kopfschüttelnd. Dabei murmelte er etwas von einem hauseigenen Kuriositätenmuseum.
Ich bedankte mich höflich und trat die Rückreise an.

Zu Hause angekommen, ging es frisch ans Werk. Zunächst die Demontage, dann erneuter Aufbau.
Wiederum unter Einsatz handelsüblicher Flüche und oraler Zufuhr von kühlem Hopfenblütentee.
Am Ende stand das Bett. Wirklich.
Ein doppelstöckiges. Wie diese in den Jugendherbergen.
Ganz und gar nicht nach meinen Vorstellungen.
Schlafzimmer mit Kasernencharakter will doch kein Mensch.

Naja, die Sache hatte dann doch noch ein zufriedenstellendes Ende.
Auf meinen Reisen durch das Netz der unbegrenzten Möglichkeiten fand ich eine Seite mit Menschen in ähnlichen Notlagen. Allesamt Opfer fehlerhafter Aufbauanleitungen. Von der Gesellschaft geächtet und belächelt. In ihrer Verzweiflung haben diese eine Tauschbörse eingerichtet. Dort wurde ich fündig. Bei einer freundlichen Dame, die einen Garderobenständer erworben hatte und nach der Montage ein King Size-Bett vorfand. Taugt zwar als Kleiderablage, macht den Flur aber unbegehbar. Sie zeigte sich erfreut über das Tauschangebot, konnte sie doch deutlichen Raumgewinn verbuchen.

Wie auch immer – Anleitungen traue ich nicht mehr über den Weg.
Echt jetzt.

© by P.H.

Bunte Lichter

Manche Dinge ändern sich nie. Jahreszeiten zum Beispiel oder, dass die Ampel an der Ortsausfahrt immer rot schaltet, wenn sie meinen Wagen erspäht. Ist eine Gesetzmäßigkeit und stört inzwischen gar nicht mehr. Bin sogar daran gewöhnt und rege mich nur noch minimal auf. Also, über die Ampel.
Zudem bietet diese Tatsache immer wieder Gesprächsstoff bei weniger tiefschürfenden Plaudereien.
„Wie, Du musst da immer halten?? Ich nie.“
Dabei wirst du ungläubig betrachtet, als hättest du gerade ein Toast entwickelt, das, wider allen Naturgesetzen, niemals mit der gebutterten Seite nach unten zu Boden fällt.

Nein, ich nehme das nicht persönlich. Ist so ein Ding, das zur Gewohnheit wird.
Vergleichbar mit dem TV-Programm. Wenn du mal Lust auf Enterbrainment hast, dann flimmert nur Recyclingware über die Mattscheibe. Die Waltons oder so. Lagen beim Filmdiscounter im untersten Regal und werden nun als Blockbuster angepriesen.
Na ja, immer noch besser als Werbung für Milchschnitte, denke ich dann und erinnere mich an Zeiten, wo solches wirklich ein Highlight war. Weiß noch, wie die Familie gesammelt vor dem Kanalschwimmer saß, als Schweinchen Dick im Abendprogramm lief. Zeichentrick in Schwarz-Weiß und wir fanden es urkomisch. Dürfte heute wohl keinen Stich mehr machen gegen Power Rangers oder was aktuell an der Popcornfront gehandelt wird.

Das ist der Ampel natürlich latte. Also, der am Ortsausgang. Die ist sogar farbig und sendet immer. Tag und Nacht. Zugegeben - wenig abwechslungsreich und in meinem Fall sogar ziemlich vorhersehbar.
Nein, ist ok. Macht mir gar nichts.

Trotzdem war die Reaktion der Ordnungsmacht ziemlich überzogen. Letzte Woche, als ich wieder an die Kreuzung fuhr und stoppen musste. Die Fußtritte gegen die Ampel haben der nun wirklich nicht geschadet. Gut, das mit der Kettensäge war möglicherweise etwas überzogen, aber hätte da gleich der silberblaue Partybus vorfahren müssen? Blaulicht und jede Menge Schülerlotsen an Bord. Irrsinnig aufgeregt haben die sich. Vor allem, als die dann noch das Seil entdeckten, das ich um den Stromverteiler gewickelt und an meine Stoßstange geknotet hatte. Kam ja nicht mal zum Anfahren. Ziemlich disharmonisch wurden die. Von wegen versuchte Sachbeschädigung und so.
Lächerlich.

Die Einladung zum Friedensgipfel wollten die dann auch nicht annehmen. Dabei hätten wir mal ganz cremig einen Lungendübel mit Schuss kreisen lassen können.
Beste Ware. Hat mir kürzlich jemand im Bahnhofsklo zugesteckt.
Wollten die aber nicht.
Wurden sogar noch unentspannter.
Na ja, egal.
Ganz scharf waren die auf meinen Führerschein.
Ich gebe gerne, wenn ich habe. Bin da nicht so. Ließ ihnen das Ding also leihweise da. Taten mir irgendwie leid. Schienen kein eigenen zu haben.
Bekomme den auch wieder, meinte einer von denen. Irgendwann.

Jedenfalls fahre ich jetzt Fahrrad.
Saukalt, aber wahnsinnig gesund und außerdem kann ich die Kreuzung umfahren.
Ganz ohne Ampel.

© by P.H.

Montag, 16. Januar 2012

Mehliges

Neulich an der Backtheke steht da so ein Typ im korrekten Outfit. Perfekt sitzendes Hemd. Farblich dezente Krawatte und gebügelter Anzug. Typ Persil-Mann. Nur aktueller.
"Ich hätte gerne ein Brot. Was haben Sie denn zur Auswahl?"
Die Bäckerin schwenkt in präsentierender Geste vor dem Regal herum und lässt die Hand in der Nähe eines dunklen Getreideproduktes ruhen.
"Dieses hier - Bauernbrot. Roggen. Wird gerne genommen."
"Aha."
Der Kunde zögert.
"Wie schwer ist denn das Biest?"
"1500 Gramm."
Persil-Mann schüttelt den Kopf.
"Nein, das ist definitiv zu viel. Haben sie auch etwas kleineres?"
"Sicher", entgegnet die freundliche Dame hinter der Theke und deutet auf ein Brötchen in der tiefer gelegenen Wühlkiste.
"Die Jungs hier sind kleiner."
Der Typ schaut ziemlich verwirrt und vermag ihre Pokermiene nicht recht zu deuten.
Sicher kein Hesse, sonst wüsste er um den speziellen Humor der hiesigen Ureinwohner.
"Äh...ein wenig größer dann doch", bemerkt er etwas verunsichert.
"Ok", sie tippt auf ein helles Gebilde in Tellerminenform.
"Weizenmischbrot. 500 Gramm. Ausgesprochen kompakt, gutes Handling und bekömmlich."
"Hm...ist aber Weißbrot. Ziemlich ungesund."
"Guter Mann", sagt sie und stemmt die kräftigen Arme in ihre Hüften, "ich esse Weizenbrot seit meine Felgen zahnbestückt sind. Sehe ich etwa ungesund aus?"
"Oh...nein, das wollte ich damit nicht sagen. Sie sehen sehr prächtig aus. Wirklich."
Geschmeichelt hebt die Bäckerin ihr Kinn, streicht sich durch das Haar und lächelt spitzbübisch.
"Gut, dann können wir ins Geschäft kommen. Aufgepasst, letztes Angebot. Roggenmisch, 500 Gramm", und zeigt auf ein schuhförmiges Objekt, "Gesund wie roher Rettich. Zum Ersten, zum Zweiten und..."
"Ok ok, gekauft."
Geld und Ware wechseln den Besitzer.
Neugierig schaut die Verkäuferin den Kerl an.
"Ist das eigentlich für Sie alleine?"
"Du lieber Himmel - nein. Ich mag kein Brot. Ist für die Enten im Bürgerpark."
Die Bäckerin verdreht die Augen und wendet sich mir zu:
"Und Sie? Darf es etwas für Ihr Pferd sein?"
"Nein", entgegne ich, "zum Eigenverzehr - bitte ungesund und in großer Menge."
Sie grinst und nickt verstehend.
Weißmehlesser unter sich.

© by P.H

Denkarium

Es gibt Dinge, die haben eine eigene Play-Taste. Wenn die dir dann vor die Füße fallen, startet automatisiert eine Art Erinnerungstrack.
Mein blauer Wollpullover ist so ein Ding. Der mit dem großen, gelben Woodstock auf der Brust.
Nicht, dass ich ihn noch oft tragen würde. Tatsächlich eher gar nicht mehr, aber das ist auch egal.
Eine Freundin strickte mir diesen.
Manchmal gerät er mir zwischen die Finger, dann streiche ich darüber und muss lächeln. Bilder beginnen zu tanzen. Bilder aus luftigen Zeiten, die wie aus einem anderen Leben erscheinen.
Laute, beathaltige Musik zu Rauchwaren, die ein süßliches Aroma in der Luft hinterließen und blitzende Augenpaare mit verlangendem Ausdruck.

Dann höre ich hin und wieder alte Songs im Radio. Uriah Heep, Bee Gees oder so.
Kann schon sein, dass mir in diesem Moment ein großes Partyzelt vor dem geistigen Auge erscheint. Das Mädchen in den Armen, welches ich damals für die wunderbarste Schöpfung auf Erden hielt.
Wir tanzten, besser stolperten, gemeinsam. Jedenfalls ziemlich eng umschlungen. Beide von dem Moment berauscht.
Ihren Namen weiß ich sogar heute noch. Nicht aber, wohin es sie getragen haben mag.

Dann sehe ich manchmal einen alten Wagen über die Straße rollen. Opel Kadett C. Meiner war Baujahr 76. Autobahnschildblau, so die Farbdiagnose eines Freundes.
Immerhin 160km/h schaffte er mit ordentlichem Anlauf .Auch auf der Fahrt nach München und das, obwohl er voll besetzt war.
Vier Kerle zu einem Kurztrip in die Landeshauptstadt. Reichlich Alkohol und lockere Sprüche auf der Agenda.
Fragt mich heute nicht mehr nach Details. Darüber liegt ein promilleschwerer Nebel des Verblassens.
Den ein oder anderen treffe ich heute noch. Dann erinnern wir uns lachend und es ist, als sei es gestern gewesen.

Professor Dumbledore, der aus den Harry Potter-Romanen, besitzt ein "Denkarium". Eine Steinschale, in der Erfahrungen ablegt werden. Dabei zieht er diese wie Silberfäden aus seiner Schläfe. Ein probates Mittel gegen den immer voller werdenden Kopf. Macht das Oberstübchen frei und lässt klarer blicken, so seine Meinung.
Wäre nicht nach meinem Geschmack. Kaum eine Erinnerung, die ich hergeben wollte und irgendwie gehören die zu mir. Lassen mich Dinge auf meine Weise betrachten.
Vielleicht so wie ein Kaffeefilter, den ich mit meinem Erlebten fülle und Eindrücke darüber laufen lasse.
Das, was sich dann im Behälter sammelt, ist mein persönliches Destillat. Ich mag es heller und gebe Milch hinzu. Manchmal sogar Zucker - wenn mir gerade nach süß ist.
Es schmeckt und belebt mich.
Tag für Tag.

© by P.H.

Mittwoch, 4. Januar 2012

Ware Mann

Ist gar nicht lange her, da hatte mich mal eine Frau bei eBay ersteigert. Also, nicht wirklich mich, aber ein Date. Hatte bei 3,05 € den Zuschlag bekommen.
Ne, das Geschäft rechnete sich nicht. Wirklich nicht. Mache ich auch nie wieder. Alleine die Fahrtkosten überstiegen den Gewinn. Musste extra in den Norden reisen. War irgend so eine Stadt am Wasser. Mit Hafen, Fischmarkt und roter Vergnügungsmeile. Keine Ahnung, Name ist mir entfallen.

Jedenfalls lief ich da also in die vereinbarte Spelunke ein. "Zum einäugigen Schweden" oder so. Ziemlich ruhig. Kaum Betrieb, nur einige überhopfte Typen unter den Tischen, die selig ihre Promille abatmeten.
Habe dann auch prompt einen Krug Helles bei der drallen Kellnerin bestellt und genüsslich den Kehlenfasching eingeläutet.

Dauerte gar nicht lange und da ging auch schon die Tür. Kam die meistbietende Tante hereinspaziert. Korrekter Auftritt. Rosa Stiefel über gelbe Leggins und lila Schlabbershirt. Echt was für´s Auge. Dachte noch, dass die eigentlich nen Aufdruck tragen müsste - Vorsicht Epilepsiewarnung. Gut sichtbar auf dem Oberteil. Egal.

Setzte die sich also bei mich und zog gleich so ein Kopfspiegel auf. Sollte mal "Aahh" sagen. Ok, habe ich gemacht. Die schaute in meinen Mund, Nase und Ohren. Dabei kritzelte die immer irgendwelche Sachen auf einen Block. Dann zog die das Ding wieder aus und grinste zufrieden.
Im nächsten Moment fing die an und stellte Fragen. Las die von einem Papier ab und machte Kreuze.
"Heterosexuell?"
"Ja."
"Sex?"
"Von mir aus."
"Wie oft im Jahr?"
"In Schaltjahren gar nicht, in den anderen weniger."
"Rasiert?"
"Intimtoupe."

Naja, lauter so komische Sachen wollte die wissen.
Irgendwann war die dann fertig, zog einen Taschenrechner aus der Hose und fing an zu tippen. Las Zahlen von diesen Papierbögen ab und gab die ein. Das ging so einige Minuten, bis ihr Gesicht happy wurde und alles wieder in der Tasche verschwand.
"Wir sind kompatibel", meinte sie plötzlich.
Aha, ging es mir durch den Kopf, jetzt kommt es knüppeldick.
"Fahrprüfung bestanden oder etwas gewonnen?"
Sie nickte und schaute mich kritisch an.
"Hätte nichts dagegen, mit Dir mal etwas Sahne auf die Torte zu geben."

Also mir ging das echt zu schnell. Ich brauche da immer etwas Anlauf. Meinen Friseur habe ich auch erstmal einige Monate beobachtet, bevor der an meine Haare durfte. Hab den sogar Herrenfrisuren zur Probe bei meiner Mom schneiden lassen.
Ne, ich will das nicht.

Naja, sagte ihr also, dass wir es langsam angehen sollten. Konnte die aber gar nicht verstehen und zog die Mundwinkel nach unten. Pech. Stand also auf und trat den Rückzug an.
Beim Hinausgehen sah ich noch, wie die den Kopfspiegel wieder aufzog und einen von diesen Typen unter dem Tisch weckte.
Manche Frauen sind schon ziemlich neugierig.
Echt jetzt.

© by P.H

Frauen und so...

Frauen sind prima - echt jetzt. Männer kenne ich. Die habe ich einigermaßen verstanden. Frauen kann Mann aber nicht verstehen. Ist für mich wie die Bauanleitung für eine Trägerrakete oder so. Da gibt es zum Beispiel diese Zyklusgeschichte. Ist so ein Ding mit dem Mond und schlägt bei denen voll auf die Stimmung durch. Kannste als Mann nicht kapieren.

Da kann es sein, dass du mal einen romantischen Abend zauberst. Also, machst echt was locker - nur vom Feinsten: Serbischer Bohneneintopf von Erasco aus der Silberdose und Lidls feinstes Bergadler-Pils. Dann holst du bei Kik noch diese rattenscharfe Tischdecke mit den Teddys und ziehst dir sicherheitshalber schon mal diesen Tigertanga an. Und was ist ? Nix ist - Lady sitzt da und hat Pipi in den Augen. Denkste noch, die ist jetzt echt voll auf romantisch und so, ist die aber enttäuscht. Fragste warum, sagt sie dir, dass sie den Boheneintopf eklig findet - wollte lieber Pichelsteiner. Das soll mal einer verstehen...

Klar, ärgerlich, die Unterhose von letzter Woche hättest Du noch weitertragen können - egal.
Irgendwie sind sie ja echt süß - die Mädels. Ich kann denen nicht böse sein. Wenn sie dich dann noch aus großen Kulleraugen angucken und von kalten Füßen und Schuhen reden - habe ihr glatt Omas Filzpantoffeln geschenkt.

Ich kann dann einfach nicht anders.

© by P.H.

Montag, 2. Januar 2012

Filterlose, Bohnensaft und Weltraumschrott

Trevor wusste, dass er unter einem Helfersyndrom litt. Nach seinem Empfinden war das allerdings ziemlich untragisch, denn zu einer Existenzentfremdung hatte es ihn bisher noch nicht getrieben - im Gegenteil. Gerade diese Charaktereigenschaft war es, die ihn in seinem privaten Biotop zu einem durchaus geschätzten Mitwesen kürte. Klar, nichts, was er jemals als Zielvorgabe in seiner Lebensagenda erfasst hatte, aber mit wohltuender Bauchwärme entgegennahm. Genau diese war es aber, die sich in dem Augenblick gar nicht einstellen wollte, als er am Rande der Straße stand und jene ältere Dame auf den Schultern trug, die ihn wenige Minuten zuvor angesprochen hatte:
„Ach, junger Mann, wären Sie so freundlich und würden mir über die Fahrbahn helfen?“
Selbstverständlich konnte Trevor diese Bitte nicht abschlagen und hatte nach oberflächlicher Inspektion ihrer körpereigenen Mobilausstattung kurzerhand einen Entschluss gefasst - hoch zu Mensch sollte die Lady ihr Ziel erreichen. Und nur seinem ausgezeichneten Trainingszustand sowie ihrem Federgewicht war es schließlich zu verdanken, dass der menschliche Aufbau selbst die Mittelleitplanke der 8-spurigen Autobahn ohne Abwurf überwinden konnte. Beide waren dabei so auf die Bewältigung der Herausforderung fokussiert, dass sie nicht einmal Gehör für die wütenden Hupkonzerte vorbeiziehender Asphaltdampfer fanden.

„Warum wollten Sie eigentlich auf die andere Seite?“, presste Trevor schnaufend hervor, als sie die Fahrbahn überquert hatten und er in die Knie ging, um der Lady den Abstieg zu ermöglichen.
„Wissen Sie, die dort drüben hatten meine Zigaretten nicht im Sortiment. Filterlos, von einer Marke, deren Name nicht genannt werden darf. Der freundliche Herr an der Kasse wies dann aber darauf hin, dass ich diese auf der anderen Seite erhalten würde“, antwortete die Dame erregt, während sie an ihrem Kleid zupfte, das durch den Transport die vorgesehene Fassung verloren hatte. Trevor richtete sich wieder auf und nickte verständnisvoll.
„Nun, dann werden Sie aber auch wieder zurück müssen. Vermute, ihr Wagen ist, ebenso wie meiner, drüben geparkt“, bemerkte er.
„Ja, wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie einen Moment warten würden, während ich kurz meine Besorgung erledige. Den Rückweg könnten wir dann abermals gemeinsam antreten.“
Trevor lächelte die Dame freundlich an, während er tief Luft in seine Lungen sog. Mit einem Handzeichen gab er ihr zu verstehen, dass er warten würde. Sie drehte sich herum und schlurfte zu dem Raststättenshop. Minuten vergingen und nach einiger Zeit sah sie Trevor wieder aus dem Laden treten. Deutlich konnte er den entspannten Ausdruck ausmachen, der sich sogleich auf ihrem Gesicht breit machte, als sie eines der Nikotintorpedos aus dem soeben erworbenen Päckchen fischte und zwischen die Lippen schob.

Der Rückweg gestaltete sich dann ähnlich unkompliziert wie der Hinweg. Wieder zurück am Ausgangspunkt, begleitete Trevor die Dame noch zu ihrem Fahrzeug, das sich als reinrassiger Sportwagen mit einer Motorisierung erwies, die selbst einem Kreuzfahrtschiff gut zu Gesicht gestanden hätte. Herzlich schüttelte sie ihm die Hand, bevor sie in das PS-Monster einstieg, den Wagen startete und mit quietschenden Reifen schwarze Streifen auf dem Asphalt hinterließ. Während Trevor ihr nachwinkte, genoss er das wärmende Bauchgefühl, das sich bei ihm einzustellen begann.

Jeden Tag eine gute Tat, dachte er noch, als er sein Gefährt bestieg und nach Hause steuerte. Der dichte Feierbandverkehr und die Begegnung mit der alten Dame ließ ihn später als gewohnt sein Heim erreichen. Dennoch schien es, als sei ihm das Glück heute gewogen, denn trotz fortgeschrittener Tageszeit konnte er noch einen Parkplatz in Hausnähe ergattern.

Beherzt nahm er die Stufen des Treppenhauses und hatte beinahe die Wohnung im zweiten Stockwerk erreicht, als er von Frau Dinkelhuber abgefangen wurde. Frau Dinkelhuber war eine Dame, die inzwischen auf acht Jahrzehnte erfüllten Lebens zurückblickte und in den in den Räumlichkeiten über den seinen residierte. Trevor wusste um die zunehmende Vereinsamung unter der die alte Dame, seit dem Ableben ihres Mannes, litt. So pflegte er, wann immer sich die Gelegenheit bot, ihr ein Ohr zu leihen. Da seine Abendgestaltung an diesem heutigen Tag eher von unkonkreter Natur war, beschloss er spontan, sich der der Jugendzeit enteilten Dame anzunehmen. Und so kam es, dass er wenig später in ihrer Küche saß – bei einer Tasse schwarzen, heiß dampfenden Kaffees. Während sie genüsslich den frisch gepressten Bohnensaft schlürften, mühte sich Trevor redlich, Frau Dinkelhubers Worten zu folgen. Anders als gewöhnlich kreisten die Sätze diesmal aber nicht um ihren einsamen Alltag und Kindern, die in weiter Ferne sesshaft geworden waren, so dass sich der Kontakt nur noch auf wenige Besuche zu Feiertagen und sporadischen Telefonaten beschränkte. Heute war es anders. Trevors Augen weiteten sich zu Untertassengröße, als Frau Dinkelhuber von Hormonen und weiblichen Bedürfnissen berichtete.
„Ist mir schon aufgefallen, wie Sie mich ansehen und an meinen Lippen hängen“, bemerkte sie mit einem Augenzwinkern, „kein Poblem. Ich bin alleine, Sie sind es und“, fügt sie mit einem Seufzer an, „es ist sehr lange her.“
Trevor dachte kurz nach.
Für Kanzlerin und Vaterland, schoss es ihm durch den Kopf.
„Geht in Ordnung“, sagte er dann, „lassen Sie uns das Bett teilen.“

Ungewohnt war es schon, eine Dame zu küssen, die sich ihrer Dentalbereifung entledigt und einem Brausebad auf dem Nachttisch zugeführt hatte. Ebenso bedurfte es einiger Rücksichtnahme auf die anatomischen Gegebenheiten während des Liebesspiels. Nicht mehr alle Körperteile waren Originalausstattung, wie Trevor im Verlaufe der Nacht erfuhr. Dennoch empfand er die Stunden mit ihr als durchaus befriedigend und lehrreich. Frau Dinkelhuber war eine erfahrene Gegenspielerin mit dominanter Ader, die ihm wohliges Behagen bereitete. Und ganz in der Obhut ihrer wissenden Hände, wurde es zu einem erfüllenden Erlebnis für beide Seiten.

Trevor erwachte am nächsten Morgen, als frischer Kaffeeduft die Wohnung durchflutete.
„Wir sollten reden“, sagte Frau Dinkelhuber während er am Küchentisch Platz nahm.
„Sie sind nett, jung und attraktiv, aber ich suche keine Beziehung. Hoffe, das ist kein Problem für Sie. Mag Sie wirklich nicht enttäuschen, aber für ein Zweitverwertungsrecht bin ich noch nicht bereit“, brach es aus ihr hervor und dabei schaute sie ihn mit ernster Miene an.
Sicher“, entgegnete Trevor und hoffte, seine Kukident - Mata Hari würde nicht den Lärm herabstürzender Granitbrocken vernehmen, die gerade von seinem Herzen fielen, „geht in Ordnung. Hatte keinerlei Erwartungen.“
Frau Dinkelhuber lächelte sichtlich erleichtert und begann ein Frühstück zu bereiten, das sie sich anschließend mit großem Appetit und in entspannter Atmosphäre zuführten. Der Morgen war bereits im Begriff, dem Vormittag zu weichen, als Trevor sich verabschiedete und seine Wohnung aufsuchte, um sich für den Arbeitstag zu rüsten.

Den Tag in der Firma verbrachte er mit den üblichen Aktenbergen und den ebenso üblichen Ablehnungsbescheiden. Unzählige Anfragen zur Erstattung von Versicherungsschäden, die über die Jahre seinen Schreibtisch passiert hatten. Inzwischen las er die Anträge nur noch stichprobenartig. Zumeist schob er das Standardbriefpapier in den Drucker, öffnete die Formularvorlagen an seinem Rechner und platzierte die vorbereiteten Textbausteine unter dem Logo seines Arbeitgebers.
„Freundlichst, Ihre Gentom -Versicherung“, so schlossen alle Schreiben. Trevor fand, dass diese Höflichkeitsformel beinahe ironisch wirkte und wollte sich die Reaktionen auf Empfängerseite gar nicht vorstellen. Dafür genoss er in den Führungsetagen höchstes Ansehen und durfte sich alljährlich über eine großzügige Prämie freuen, sorgte er doch für prächtige Gewinne in seiner Abteilung.
So verlief der Tag ohne nennenswerte Ausschläge auf der Ereignisskala und Trevor beschloss, den Feierabend in seiner Stammkneipe ausklingen zu lassen.

Nur wenige Straßen von seinem Heimathafen entfernt, betrieb Maria das „Einklang“. Eine Anlaufstelle für Einsame, Gestresste und Redselige aus der Umgebung, die sich dort regelmäßig zu kühlen Getränken und kleinen Speisen einfanden. Trevor fand den Laden nahezu entleert vor, als er ihn zu früher Abendstunde betrat. Lediglich ein einzelner Gast hielt einen der Stühle im kleinen Gastraum besetzt und war vollauf damit beschäftigt, die Currywurst auf dem Teller ihrer verdauungsgemäßen Bestimmung zuzuführen.
Trevor bezog einen Platz an der Theke und nickte lächelnd Maria zu, als diese einen Daumen nach oben reckte und ihm damit signalisierte, dass sie in Kürze ein schaumgekröntes Feierabendgetränk servieren würde.
Mit wohlwollendem Blick verfolgte er Maria bei ihren Bewegungen. Betrachtete ihr langes, lockiges Haar, welches ihr hübsches Gesicht umrahmte. Das Aufblitzen der dunklen Augen, wenn sie einen Blick in seine Richtung warf und dabei die vollen Lippen zu einem Lächeln aufwarf. Trevor mochte Maria und war sich sicher, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte.

Einige Minuten später traf die Hopfenbrause ein und als sie diese gekonnt in seine Reichweite platzierte sprach sie ihn an:
„Du hast mir doch mal erzählt, dass Du bei einer Versicherung tätig bist. Stell Dir vor, hatte da kürzlich einen Schaden bei meiner gemeldet. Was meinst Du, haben die geantwortet? Abgelehnt! Nichts, keinen müden Cent werde ich sehen. Ungeprüft eingestampft.“
Wütend schnaubte sie.
„Was war denn passiert?“, fragte Trevor.
„Weltraumschrott. Hat das Dach von meinem Haus durchschlagen und die Badewanne zertrümmert.“
„Du scherzst?“, entgegnete Trevor.
„Sieht das wie ein Scherz aus?“, antwortete Maria und griff unter die Theke. Sie beförderte einen Gegenstand nach oben und warf ihn auf die Theke. Das Ding schepperte laut, als es auf das Holz prallte und Trevor konnte erkennen, dass es sich um ein metallisches Gebilde handelte. Ursprünglich Teil eines größeren Objektes, wie die ausgefransten und von Ruß überzogenen Ränder erahnen ließen. Er griff nach dem Gegenstand, um die Zeichenfolge zu lesen, die die Oberfläche zierte: „CCCP“, gefolgt von einem Stern. Verblasst, aber deutlich sichtbar waren die Buchstaben zu erkennen.
Einigermaßen überrascht betrachtet Trevor das Objekt.
„Sag mal, bei welchem Unternehmen bist Du denn versichert?“
„Gentom heißen die Gangster.“
Trevor hüstelte und nahm hastig einen Schluck aus dem Glas.
„Ok, gib mir mal die Unterlagen. Werde schauen, ob ich etwas erreichen kann.“
Maria griff erneut unter die Theke und beförderte einen Aktenstapel an die Oberfläche, den sie ihm zuschob.
„Danke, wäre echt großartig von Dir.“
Sie lächelte ihn an, beugte sich über die Theke und hauchte einen Kuss auf seine Wange. Trevor genoss die Bauchwärme, die sich in ihm ausbreitete und selbst dann noch anhielt, da er den Kopf auf das Kissen im heimischen Bett legte und zu träumen begann.

Als er am nächsten Tag seinen Arbeitsplatz aufsuchte, verzichtete Tevor auf den Einsatz von Textbausteinen. Alle eingehenden Anträge beschied er positiv. Das tat er auch an den folgenden Tagen und Wochen. So lange, bis die Führungsetage auf seine Aktivitäten aufmerksam wurde und ihm den Austritt nahe legte.

Maria erhielt in der Zwischenzeit einen Bescheid von ihrer Versicherung, in dem sie einen Irrtum einräumte und nun doch für den entstandenen Schaden aufkommen wollte. Von der erstatteten Summe ließ sich Maria einen Whirlpool installieren und lud Trevor zu einem Probebad ein, das dieser in ihrer Gesellschaft genoss.
Das wiederum führte zu dem Beginn einer leidenschaftlichen und andauernden Verbindung, in deren Verlauf aus dem Sachbearbeiter eines namhaften Versicherungsunternehmens ein Kneipenwirt mit Leib und Seele wurde.

Hilfsbereitschaft hin oder her - Geschenke wurden im „Einklang“ nicht verteilt. Der Neue hinter der Theke wusste nur allzu gut mit Zahlen umzugehen, aber wer ein offenes Ohr oder eine brauchbare Currywurst suchte, der konnte dort fündig werden.
Die Nutzungsrechte für Trevors horizontalen Maßnahmenkatalog gegen weibliche Unterleibsdepressionen hat sich allerdings Maria exklusiv gesichert.

© by P.H.