„Ausdruckstöpfern und das männliche
Rollenverständnis."
So das Thema des Vortrages zu dem der
hiesige Pfandflaschensitzkreis geladen hatte. Die anschließende Diskussion war
von hitzigen Wortgefechten begleitet worden.
„Pseudomaskuline
Selbstverwirklichung“ und „Untermauerung des Matriarchats“ waren nur einige der
Schlagworte gewesen.
Nicht, dass
es mich zutiefst bewegt hatte, aber kurzweilig war es schon gewesen.
Die Hände in den Hosentaschen
vergraben, steuere ich nun heimwärts.
Nur vereinzelt huschen Menschen auf
der wenig bevölkerten Hauptstraße vorbei.
Um diese Uhrzeit gibt es üblicherweise
kaum Verkehr in dem verschlafenen Städtchen. Manchmal fühle ich mich an eine dieser
Geisterstädte in den alten Western erinnert. Fehlt nur noch, dass der heiße
Wüstenwind irgendwelches Gestrüpp die Hausfassaden entlangweht.
In der Nebenstraße, die ich nun
einschlage, ist es noch gespenstischer. Hier sind nur vereinzelt
Straßenlaternen postiert, die die Umgebung notdürftig erhellen und orangefarbenen
Schein auf das Pflaster werfen.
Gedankenversunken trotte ich vor mich
hin, als sich plötzlich zwei Gestalten aus dem Halbdunkel schälen und mir den
Weg verstellen.
"Hey Kollege, wohin so eilig?"
Konversation ist aktuell nicht mein
brennendstes Verlangen und so murre ich einsilbig:
„Nach Hause.“
Im selben Moment ist eine Hand an der Schulter
zu spüren, die energisch meinen Vorwärtsdrang zu stoppen versucht.
"Alter, Du hast doch sicher eine
kleine Gabe für Bedürftige", meint einer der Gestalten mit lauerndem
Tonfall.
Ich schaue auf und erkenne im matten
Schein der Lampen einen hageren Typen mit tief in das Gesicht gezogener Basecap.
Seine Worte werden von hämischem Grinsen begleitet, das eine lückenhafte
Zahnreihe entblößt.
Mir wird plötzlich bewusst, dass sich
die Lage in eine Richtung zu entwickeln beginnt, die ganz und gar nicht meiner
Vorstellung eines entspannten Tagesausklanges entsprechen dürfte. Dafür spricht
auch jenes Geräusche hinter dem Rücken, das auf eine Positionierung des anderen
Kerls in meinem Windschatten schließen lässt.
Verzwickte Situation.
Vor meinem geistigen Auge ziehen verschiedene
Szenarien vorbei, als plötzlich Schritte auf dem Pflaster zu vernehmen sind.
„Klack“ – „klack“ – „klack“
Das Geräusch von Damenschuhen. Stilettos
oder so. Jedenfalls hochhackig und ziemlich bestimmt.
Mit einem Mal schiebt sich die Gestalt
einer Frau in das Gesichtsfeld.
Groß, lange, wild gelockte Haare, die
im Schein der Straßenlampe ziemlich blond erscheinen.
"Hey
Leute, alles senkrecht?", ruft sie uns fröhlich zu.
Einen knappen
Meter vor mir kommt sie zum Stehen und mustert mich prüfend.
„Na, Ärger?“
Die
Gebissruine dreht sich herum und zischt sie unfreundlich an:
„Wüsste
nicht, was dich das angehen sollte.“
Dabei streckt
er den Arm nach vorne und will sie wegstoßen.
Im nächsten
Moment geht alles sehr schnell.
Ihre Hand
schnellt nach vorne, packt seinen Arm und verdreht diesen.
Mit einem
Schmerzensschrei sinkt der Typ zu Boden.
Sie fasst den
Kragen, schüttelt ihn und platziert einen satten Tritt in den Allerwertesten, was
der Kerl mit einem wimmernden Laut quittiert und außer Reichweite zu robben
sucht. Währenddessen vernehme ich erneut Geräusch hinter meinem Rücken. Leiser
werdende - die von sich rasch entfernenden Schritten. Mister Windschatten hat
die Flucht ergriffen.
Der Typ am
Boden hat sich inzwischen berappelt, springt auf die Füße und legt einen
beeindruckenden Sprint auf das Parkett, sodass ihn bald die Dunkelheit
verschluckt hat.
Lady Goldlocke
steht grinsend vor mir und schaut den entschwinden Kerlen nach.
„Die gehen
jetzt woanders spielen.“
„Danke“,
murmel ich verlegen, „äh…da waren Sie wohl einen Tick schneller.“
Sie lacht und
streckt mir eine Hand entgegen.
„Nenn mich
Amy.“
Die Hand ist
warm und der Druck fest.
Ich
unterdrücke einen Schmerzensschrei und antworte tapfer:
„Mike, freut
mich.“
Ihr Gesicht
ist hübsch.
Helle, blaue
Augen, die mich neugierig mustern.
Volle Lippen,
die mit dem dunklem Rot eines Lippenstiftes gekonnt betont wurden.
Die blonde
Lockenpracht, die ihr Gesicht umspielt lässt sie irgendwie kess erscheinen.
„Hey“, lässt
sie hören, „auf den Schreck haben wir uns einen kleinen Absacker verdient,
meinst Du nicht?“
„Eigentlich…nein,
klar, ist ok“, entfährt es mir zögernd.
Ihr Arm hakt
sich bei mir ein und im selben Moment werde ich sanft aber bestimmt die Straße
entlang geschoben.
„Da vorne ist
ein nettes, kleines Cafe. Lass uns dort etwas trinken.“
„Ja, das
Sheep, bin öfters da“, antworte ich wissend.
Sie lacht und
zieht mich in Richtung der erleuchteten Lokalität.
Im Cafe
herrscht mäßige Betriebsamkeit.
Einzelne
Gäste bevölkern die Tische und an der Theke hat sich eine Handvoll Jugendliche
eingefunden, die in fesselnde Gespräche
vertieft zu sein scheinen. Vermutlich wer gerade mit wem händchenhaltend auf
dem Pausenhof gesichtet wurde. Ihre verschwörerische Minen und meine Erinnerung
an solche Zeiten legen mir diesen heiteren Schluss nahe.
Wir
entscheiden uns für einen Tisch in der Nähe des großen Fensters zur Straße und
lassen uns in den gemütlichen Polstersesseln fallen.
„Herrlich,
jetzt ein kühles Bierchen“, verkündet Amy fröhlich.
„Dem werde
ich mich spontan anschließen“, entgegne ich grinsend.
Die Kellnerin
nimmt unsere Bestellung entgegen und wenig später sind wir in ein kurzweiliges
Gespräch vertieft, während sich die Gläser zügig leeren.
„Wie kommst
Du zu diesen handfesten Fähigkeiten im Umgang mit aufdringlichen
Zeitgenossen?“, will ich wissen.
Sie lächelt.
„Polizei.“
„Ach,
Politesse? Erworben bei Auseinandersetzungen mit uneinsichtiger Kundschaft?“
Ihre Augen
blitzen mich spitzbübisch an.
„Ne,
Wirtschaftskriminalität.“
„Aha“,
entfährt es mir, „Kreditkartenbetrug und so.“
„Genau…und
so.“
Sie grinst
breit und nippt an dem Glas.
Ihre blonden
Locken fallen dabei in das Gesicht und was ich unter dem Laternenlicht schon
bemerkte – sie ist verdammt hübsch.
Das kesse
Erscheinungsbild wird durch ein Stupsnäschen betont, das sich inmitten einer
fröhlichen Ansammlung von Sommersprossen befindet.
Nicht
entgangen war mir zudem ihre alles andere als unangenehme Figur. Groß, schlank,
mit wohldimensionierten Rundungen an den richtigen Stellen.
„Typisch Mann“,
denke ich, „immer erst einen visuellen Bodycheck.“
Aus den
Lautsprecherboxen, die irgendwo in den Ecken des Cafes platziert sind, dringt
leise Musik.
Ray Davies,
Kopf der „Kings“, stimmt „Lola“ an.
Amy hebt den
Kopf und sieht mich fordernd aus ihren großen, blauen Augen an.
„Gib mir mal
einen Kuss.“
Verklemmtheit
ist mir eigentlich fremd und klar, ich schätze Frauen, die wissen, was sie
wollen. Trotzdem - gerechnet hatte ich damit nun nicht. Irgendwie fühle ich
mich ziemlich kalt erwischt.
Meine
Überraschung verbergend, beuge ich mich zu Amy hinüber und küsse sie.
Ihre Lippen
schmecken nach Bier und Kirsche.
Sie hat die Augen
geschlossen und erwidert die Annäherung.
Es fühlt sich
gut an. Warm und weich.
Irgendwann
lösen wir uns voneinander und sie sieht mich lächelnd an.
„Danke.“
„Äh…bitte.“
„Dachte ich
mir, dass es so sein würde“, sagt sie.
In meinem
Blick müssen sich Fragezeichen tummeln, weil sie in leises Lachen verfällt.
„Come on, Boy
– klapp den Laden wieder zu. Wir leben im 21. Jahrhundert.“
„Ist mir
schon aufgefallen. Hast Du mir gerade wieder bewusst gemacht“, bemerke ich und
versuche cool zu wirken.
Sie blickt
mich weiterhin amüsiert an.
„Lass uns
gehen, es ist spät und ich brauche meinen Schönheitsschlaf.“
Amy ruft die
Kellnerin herbei, zahlt, meinen Protest ignorierend, die Getränke und schwingt
sich anmutig aus dem Sessel.
Als wir
wieder auf der Straße sind, reicht sie mir eine Karte.
„Meine
Telefonnummer. Ruf mich morgen an, dann können wir etwas essen gehen.“
Ein
gehauchter Kuss auf die Wange und bevor ich noch ansetzen kann, hat die
Dunkelheit sie auch schon verschluckt.
Zu Hause
angekommen, falle ich auf das Bett und bald übermannt mich der Schlaf. In
meinen Träumen kämpfe ich an der Seite eines blonden Engels gegen dunkle
Mächte. Jede Menge Dämonen, Geister und Stilettos.
Der nächste
Morgen begrüßt mich mit einer Sonne, die hell am Himmel lacht und glitzernde
Strahlen durch die Jalousie schickt.
Während ich
der röchelnden Kaffeemaschine lausche, hängen meine Gedanken dem gestrigen
Abend nach. Amy hat mich beeindruckt. Mehr als beeindruckt. Beinahe würde ich
eine kleine Verliebtheit diagnostizieren.
Allerdings
quält mich ein wenig der Gedanke, so widerstandslos das Heft aus der Hand
gegeben zu haben.
„Junge, was
ist mit deinen männlichen Jagdtrieben?“, geht es mir durch den Kopf.
Die Karte mit
der Telefonnummer liegt auf dem Küchentisch. Ein neuzeitliches Dokument, das von dem
Niedergang maskuliner Regieführung zeugt.
Ich
beschließe, sie später anzurufen und der Einladung zu folgen.
Das tue ich
dann auch. Irgendwo zwischen Mittagspause und Strategiemeeting.
„Antonios“
ist mein Lieblingsitaliener. Hier gibt es Pasta satt. In allen Variationen und
das zumeist reichlich. Die italienische Küche ist mein Favorit und Amy zeigte
sich erfreut darüber.
„Kein
Küchenstreit zu befürchten“, sagte sie am Telefon.
„20.00 Uhr?
Klar, das passt. Wir treffen uns im Restaurant.“
Jetzt sitze
ich an einem der Tische, spiele nervös mit meinem Handy und schaue auf das
Display, ob eine Nachricht eingegangen sein könnte.
20.10 Uhr.
Große
Persönlichkeiten brauchen ihre Zeit. Habe ich mal irgendwo gelesen.
Die Tür
schwingt auf und Amy trabt herein. Sie trägt ein schlichtes, schwarzes Kleid,
das ihre Figur umschmeichelt. Dezent geschminkt. Dunkler Lidstrich als Kontrast
zu ihren hellen Augen. Die lockige Haarpracht hat sie zu einem Knoten gebunden,
der zwischen den Schulterblättern ruht.
Ich spüre,
wie mein Herz höher schlägt und vermag kaum den Blick von ihr zu wenden.
Ähnlich scheint es auch einigen anwesenden Herren zu ergehen, wie man an den
herumfahrenden Köpfen erkennen kann.
Sie erspäht
meine winkende Hand und steuert auf den Tisch zu.
Der Kuss ist
warm, weich und länger als man es von einer flüchtigen Bekanntschaft erwarten
würde.
Amy bezieht
Platz neben mir und lächelt vielsagend.
„Na Du, hast
mich vermisst?“
„Hm…ein
wenig“, gestehe ich grinsend.
„Nun denn.“
Sie greift
nach der Karte und beginnt sie ausgiebig zu studieren.
Ich betrachte
sie und spüre, wie mich der Anblick in den Bann schlägt.
Der Kellner
nimmt die Bestellung entgegen und wir plaudern über allerlei Nichtigkeiten.
Farben, Formen und zwischenmenschliche Vergletscherungen.
Ihre
scharfsinnigen Formulierungen lassen mich immer wieder zu bewundernden
Kommentaren hinreißen.
Ich beobachte,
wie sich Gedankengänge in ihrem Kopf materialisieren und, von den vollen Lippen
geformt, auf den Weg geschickt werden.
Auch sie
wirft mir interessierte Blicke zu und das ein oder andere Mal ertappe ich sie
bei dem Versuch, wohlwollende Blicke auf meinem Gesicht zu platzieren.
Während ich
mich dem Teller Tagliatelle mit Lachs widme, verspeist Amy eine beachtliche
Portion Lasagne. Erstaunlich, wie schnell und gleichzeitig elegant die Mahlzeit
von ihren kleinen Zähnen verarbeitet und auf die Reise in den Magen geschickt
wird. Keine Spur von kalorienscheuem Herumgestochere oder gespielt zurückhaltendem
Kleinstportionieren wie man es hin und wieder in der Damenwelt beobachteten
kann.
Während der
Kellner das Trümmerfeld beseitigt, liegen wir kampfesmüde in den Stühlen.
„Jetzt einen
ordentlichen Verdauungsbeschleuniger“, meint Amy grinsend.
Stöhnend
verkünde ich meine Zustimmung.
Sie schüttet den
Schnaps hinunter ohne eine Miene zu verziehen und knallt das Glas auf den
Tisch.
„So, jetzt
fahren wir zu mir“, sagt sie, „ich spendiere einen Kaffee auf Kosten des
Hauses.“
Der Gedanke
an eine belebende Tasse erscheint mir gar nicht übel und so nicke ich zustimmend
mit dem Kopf.
Erneut zahlt
sie Rechnung - wieder unter Ignorieren meines Protestes.
Sie hilft mir
in die Jacke und geleitet mich durch die Restauranttür beim Hinausgehen.
Zielstrebig
steuert sie einen schwarzen Sportwagen auf dem Parkplatz an. Aus bayrischen
Landen. Flach, breit und ziemlich schnell wirkend.
„Steig ein,
mein Lieber“, sagt sie und hält die Beifahrertür geöffnet.
Ich quäle
mich in den Sportsitz während sie elegant um den Wagen herumspaziert und hinter
dem Cockpit Position bezieht. Der Motor heult röhrend auf und mit quietschenden
Reifen schießt sie aus der Parklücke heraus.
An den
folgenden Höllenritt kann ich mich nur noch bruchstückhaft erinnern, weil meine
Augen zumeist geschlossen waren. Hatte etwas von James Bond. Rücklichter,
quietschende Reifen und jede Menge waghalsiger Überholmanöver. In erster Linie
war ich mit dem Verbleib der Speisen in meinem Magen beschäftigt, sodass ich
nach endlos erscheinenden Minuten erleichtert bemerke, wie die Fahrt vor einem
hübschen Häuschen im Neubaugebiet endet.
„Haben mir
meine Eltern vermacht“, sagt sie und bittet mich hinein.
Der
Wohnbereich ist üppig gestaltet. Hell, große Fensterfronten und modernes
Mobiliar. Alles sehr geschmackvoll und einladend.
Mit weichen
Knien beziehe ich Platz auf der großzügig dimensionierten Ledercouch während Amy
in der Küche verschwindet und sich um die Zubereitung des Kaffees bemüht. Die
Fahrt steckt mir noch in den Knochen.
„Milch,
Zucker?“, ruft sie durch die offene Tür.
„Ja, gerne.“
Sie kehrt
zurück, bewaffnet mit zwei dampfenden Tassen.
Ihr Kaffee
ist schwarz. Sie schlürft ihn genussvoll und mustert mich.
„Du bist süß.
Denke, ich mag Dich.“
Sie nimmt mir
die Tasse aus der Hand und stellt diese auf den Tisch.
Wortlos
greift sie meinen Arm, zieht mich in die Höhe und öffnet meinen Gürtel. Gekonnt
entkleidet sie mich und bleibt einen Moment stehen, um mich zu begutachten.
„Ok“, bemerkt
Amy lächelnd und beginnt ihrerseits sich auszuziehen.
Was sich
unter den Textilien schon abzeichnete, findet sich in Abwesenheit dieser
bestätigt: Feste, üppige Formen, die meinen purpurbehelmten Freund in freudige
Aufrichtung versetzen.
Das ist so
bei uns Männern. Kannst du echt nichts dagegen machen.
In der
folgenden Nacht zeigt sie mir ihre Welt der Leidenschaft. Ungestüm, fordernd
und bestimmt. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft sie mein Boot in ihrem Fjord
ankern ließ. Irgendwann liegen wir völlig erschöpft nebeneinander. Die Sonne ist
inzwischen aufgegangen und taucht das Schlafzimmer in einen hellen Schein, der
die Schweißperlen auf unserer Haut in kleine, funkelnde Diamanten verwandelt.
Es ist der
Moment als sie mich zu ihrem Lebensgefährten erklärt und ich freudig zustimme.
„Lass uns ein
Paar sein. Mann und Frau. Du und ich.“
„Klar, bin
dabei“, entfährt es mir.
Sie küsst
mich zärtlich und es kommt wie es kommen muss.
Schon wieder.
Vermutlich
wird das ein taubes Gefühl in der Lendengegend zur Folge haben, aber zweifellos
ist es das wert.
Die kommende
Zeit ist eine der schönsten, die ich bis dato erleben durfte. Amy ist eine
wundervolle Frau. Sie zeigt mir ihre Welt und lehrt mich Dinge, die mir bis
dahin unbekannt waren. Pfeifen auf zwei Fingern zum Beispiel. So laut, dass die
Vögel erschrocken aus den Bäumen flüchten.
Oder
Reifenwechsel am Auto. Mit Wagenheber, Radkreuz und ordentlich Muskelkraft.
Es ist eine luftige
Zeit und doch lässt mich irgendwie der Gedanke nicht los, dass ich meine
männliche Rolle nicht wirklich ausfülle – bis zu jenem Abend.
Wir hatten
uns verabredet. Sie würde Chips und Bier mitbringen. Fußball schauen in meinen
vier Wänden.
Halbwegs
pünktlich steht sie dann auch in der Tür und schwenkt die Utensilien.
„Na, kann es
losgehen?“, sagt sie und drückt mir einen Kuss auf den Mund.
Im Fernseher
flimmern schon die Vorberichte. Amy bezieht Platz auf dem Sofa und setzt eine
Flasche umgedreht an den Hals einer anderen an, sodass der Kronkorken
schnalzend durch das Zimmer fliegt.
Willste
auch?“, sagt sie und hält mir das geöffnete Bier hin.
„Klar.“
Wir stoßen an
und wohnen dem Rasenspiel bei. Der Ball wandert zwischen den Fronten und irgendwann
fordert die konsumierte Flüssigkeit ihren Tribut. Amy verkündet, die Toilette
aufzusuchen.
Minuten
vergehen in denen sie verschwunden bleibt.
Allmählich
beginne ich mich zu fragen, ob sie den falschen Weg genommen haben möge, als
plötzlich ein gellender Schrei aus dem Bad ertönt.
Sofort stelle
ich die Flasche ab und haste zur Toilette. Die Tür ist nur angelehnt. Das macht
sie immer. Ich öffne und erspähe sie. Zusammengesunken kauernd in der Ecke des
kleinen Raumes und mit schreckensgeweiteten Augen, die zur gegenüberliegenden
Wand starren. Zitternde Finger zeigen auf einen Fleck, der sich zu bewegen
scheint.
„Dada…mach
das weg…bbbitte.“
Ich schaue in
Richtung ihres Blickes und erkenne eine Spinne. Harmloser Weberknecht, wie man
sie überall im Haushalt findet. Üblicherweise pflege ich eine friedliche
Koexistenz mit diesen Geschöpfen.
In
Rücksichtnahme auf ihre Verfassung unterdrücke ich ein Lachen und spaziere in
die Küche, um mich mit Glas und Bierdeckel zu bewaffnen.
Gekonnt
verwende ich die Gegenstände, um den Achtbeiner in das gläserne Gefäß zu
verfrachten.
Nun, ich bin wirklich
kein Mensch, der besondere Situationen zu seinem eigenen Vorteil schamlos
ausnutzt oder mit den Schwächen anderer spielt, aber in diesem Moment konnte
ich der Versuchung einfach nicht widerstehen.
„Amy?“
Sie sieht
mich aus angsterfüllten Augen an.
„Ja?“
Weißt Du, ich
liebe Dich.“
„Ich liebe
Dich auch.“
„Und ich
werde dafür sorgen, dass Du Dich sicher fühlst.“
„Das ist nett
von Dir“, sagt sie und in ihre Stimme kehrt die Fassung zurück.
„Aber“,
entgegne ich und hebe dabei sichtbar das Glas, „ich hätte einige Wünsche.“
Angsterfüllt
verfolgt sie meine Hand mit dem Gefäß.
„Ja?“
„Du hilfst
mir nicht mehr in die Jacke, hältst mir nicht mehr Türen auf und lässt mich
beim Sex auch mal oben liegen. Ok?“
Sie nickt
heftig mit dem Kopf.
„Klar,
gerne…“
Außerdem
werde ich den Heiratsantrag machen, nicht Du und wenn wir in die Flitterwochen
fahren, darf ich auch mal ans Steuer. Ok?“
Wieder nickt
sie mit dem Kopf.
„Kein
Problem.“
Wir umarmen
uns und verbringen den restlichen Abend in entspannter Zweisamkeit.
Übrigens, das
Insekt habe ich im Garten ausgesetzt. Wir sind jetzt echt dicke Freunde. Der
Weberknecht und ich.
Amy ist sowieso
klasse, wir haben die weltbeste Partnerschaft und heiraten werden wir auch.
Mal sehen,
wer den Antrag ausspricht…
© by P.H.
© by P.H.
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