Dienstag, 28. April 2015

Lady Goldlocke, der Weberknecht und ich

Es war spät geworden. Die Veranstaltung hatte sich in die Länge gezogen.

„Ausdruckstöpfern und das männliche Rollenverständnis."
So das Thema des Vortrages zu dem der hiesige Pfandflaschensitzkreis geladen hatte. Die anschließende Diskussion war von hitzigen Wortgefechten begleitet worden.
„Pseudomaskuline Selbstverwirklichung“ und „Untermauerung des Matriarchats“ waren nur einige der Schlagworte gewesen.
Nicht, dass es mich zutiefst bewegt hatte, aber kurzweilig war es schon gewesen.

Die Hände in den Hosentaschen vergraben, steuere ich nun heimwärts.
Nur vereinzelt huschen Menschen auf der wenig bevölkerten Hauptstraße vorbei.
Um diese Uhrzeit gibt es üblicherweise kaum Verkehr in dem verschlafenen Städtchen. Manchmal fühle ich mich an eine dieser Geisterstädte in den alten Western erinnert. Fehlt nur noch, dass der heiße Wüstenwind irgendwelches Gestrüpp die Hausfassaden entlangweht.

In der Nebenstraße, die ich nun einschlage, ist es noch gespenstischer. Hier sind nur vereinzelt Straßenlaternen postiert, die die Umgebung notdürftig erhellen und orangefarbenen Schein auf das Pflaster werfen.

Gedankenversunken trotte ich vor mich hin, als sich plötzlich zwei Gestalten aus dem Halbdunkel schälen und mir den Weg verstellen.
"Hey Kollege, wohin so eilig?"
Konversation ist aktuell nicht mein brennendstes Verlangen und so murre ich einsilbig:
„Nach Hause.“
Im selben Moment ist eine Hand an der Schulter zu spüren, die energisch meinen Vorwärtsdrang zu stoppen versucht.
"Alter, Du hast doch sicher eine kleine Gabe für Bedürftige", meint einer der Gestalten mit lauerndem Tonfall.
Ich schaue auf und erkenne im matten Schein der Lampen einen hageren Typen mit tief in das Gesicht gezogener Basecap. Seine Worte werden von hämischem Grinsen begleitet, das eine lückenhafte Zahnreihe entblößt.

Mir wird plötzlich bewusst, dass sich die Lage in eine Richtung zu entwickeln beginnt, die ganz und gar nicht meiner Vorstellung eines entspannten Tagesausklanges entsprechen dürfte. Dafür spricht auch jenes Geräusche hinter dem Rücken, das auf eine Positionierung des anderen Kerls in meinem Windschatten schließen lässt.
Verzwickte Situation.

Vor meinem geistigen Auge ziehen verschiedene Szenarien vorbei, als plötzlich Schritte auf dem Pflaster zu vernehmen sind.
„Klack“ – „klack“ – „klack“
Das Geräusch von Damenschuhen. Stilettos oder so. Jedenfalls hochhackig und ziemlich bestimmt.
Mit einem Mal schiebt sich die Gestalt einer Frau in das Gesichtsfeld.
Groß, lange, wild gelockte Haare, die im Schein der Straßenlampe ziemlich blond erscheinen.
"Hey Leute, alles senkrecht?", ruft sie uns fröhlich zu.
Einen knappen Meter vor mir kommt sie zum Stehen und mustert mich prüfend.
„Na, Ärger?“

Die Gebissruine dreht sich herum und zischt sie unfreundlich an:
„Wüsste nicht, was dich das angehen sollte.“
Dabei streckt er den Arm nach vorne und will sie wegstoßen.

Im nächsten Moment geht alles sehr schnell.
Ihre Hand schnellt nach vorne, packt seinen Arm und verdreht diesen.
Mit einem Schmerzensschrei sinkt der Typ zu Boden.
Sie fasst den Kragen, schüttelt ihn und platziert einen satten Tritt in den Allerwertesten, was der Kerl mit einem wimmernden Laut quittiert und außer Reichweite zu robben sucht. Währenddessen vernehme ich erneut Geräusch hinter meinem Rücken. Leiser werdende - die von sich rasch entfernenden Schritten. Mister Windschatten hat die Flucht ergriffen.
Der Typ am Boden hat sich inzwischen berappelt, springt auf die Füße und legt einen beeindruckenden Sprint auf das Parkett, sodass ihn bald die Dunkelheit verschluckt hat.

Lady Goldlocke steht grinsend vor mir und schaut den entschwinden Kerlen nach.
„Die gehen jetzt woanders spielen.“
„Danke“, murmel ich verlegen, „äh…da waren Sie wohl einen Tick schneller.“
Sie lacht und streckt mir eine Hand entgegen.
„Nenn mich Amy.“
Die Hand ist warm und der Druck fest.
Ich unterdrücke einen Schmerzensschrei und antworte tapfer:
„Mike, freut mich.“

Ihr Gesicht ist hübsch.
Helle, blaue Augen, die mich neugierig mustern.
Volle Lippen, die mit dem dunklem Rot eines Lippenstiftes gekonnt betont wurden.
Die blonde Lockenpracht, die ihr Gesicht umspielt lässt sie irgendwie kess erscheinen.

„Hey“, lässt sie hören, „auf den Schreck haben wir uns einen kleinen Absacker verdient, meinst Du nicht?“
„Eigentlich…nein, klar, ist ok“, entfährt es mir zögernd.
Ihr Arm hakt sich bei mir ein und im selben Moment werde ich sanft aber bestimmt die Straße entlang geschoben.
„Da vorne ist ein nettes, kleines Cafe. Lass uns dort etwas trinken.“
„Ja, das Sheep, bin öfters da“, antworte ich wissend.
Sie lacht und zieht mich in Richtung der erleuchteten Lokalität.

Im Cafe herrscht mäßige Betriebsamkeit.
Einzelne Gäste bevölkern die Tische und an der Theke hat sich eine Handvoll Jugendliche eingefunden, die  in fesselnde Gespräche vertieft zu sein scheinen. Vermutlich wer gerade mit wem händchenhaltend auf dem Pausenhof gesichtet wurde. Ihre verschwörerische Minen und meine Erinnerung an solche Zeiten legen mir diesen heiteren Schluss nahe.

Wir entscheiden uns für einen Tisch in der Nähe des großen Fensters zur Straße und lassen uns in den gemütlichen Polstersesseln fallen.
„Herrlich, jetzt ein kühles Bierchen“, verkündet Amy fröhlich.
„Dem werde ich mich spontan anschließen“, entgegne ich grinsend.

Die Kellnerin nimmt unsere Bestellung entgegen und wenig später sind wir in ein kurzweiliges Gespräch vertieft, während sich die Gläser zügig leeren.

„Wie kommst Du zu diesen handfesten Fähigkeiten im Umgang mit aufdringlichen Zeitgenossen?“, will ich wissen.
Sie lächelt.
„Polizei.“
„Ach, Politesse? Erworben bei Auseinandersetzungen mit uneinsichtiger Kundschaft?“
Ihre Augen blitzen mich spitzbübisch an.
„Ne, Wirtschaftskriminalität.“
„Aha“, entfährt es mir, „Kreditkartenbetrug und so.“
„Genau…und so.“
Sie grinst breit und nippt an dem Glas.
Ihre blonden Locken fallen dabei in das Gesicht und was ich unter dem Laternenlicht schon bemerkte – sie ist verdammt hübsch.
Das kesse Erscheinungsbild wird durch ein Stupsnäschen betont, das sich inmitten einer fröhlichen Ansammlung von Sommersprossen befindet.
Nicht entgangen war mir zudem ihre alles andere als unangenehme Figur. Groß, schlank, mit wohldimensionierten Rundungen an den richtigen Stellen.
„Typisch Mann“, denke ich, „immer erst einen visuellen Bodycheck.“

Aus den Lautsprecherboxen, die irgendwo in den Ecken des Cafes platziert sind, dringt leise Musik.
Ray Davies, Kopf der „Kings“, stimmt „Lola“ an.

Amy hebt den Kopf und sieht mich fordernd aus ihren großen, blauen Augen an.
„Gib mir mal einen Kuss.“

Verklemmtheit ist mir eigentlich fremd und klar, ich schätze Frauen, die wissen, was sie wollen. Trotzdem - gerechnet hatte ich damit nun nicht. Irgendwie fühle ich mich ziemlich kalt erwischt.

Meine Überraschung verbergend, beuge ich mich zu Amy hinüber und küsse sie.
Ihre Lippen schmecken nach Bier und Kirsche.
Sie hat die Augen geschlossen und erwidert die Annäherung.
Es fühlt sich gut an. Warm und weich.
Irgendwann lösen wir uns voneinander und sie sieht mich lächelnd an.
„Danke.“
„Äh…bitte.“
„Dachte ich mir, dass es so sein würde“, sagt sie.
In meinem Blick müssen sich Fragezeichen tummeln, weil sie in leises Lachen verfällt.
„Come on, Boy – klapp den Laden wieder zu. Wir leben im 21. Jahrhundert.“
„Ist mir schon aufgefallen. Hast Du mir gerade wieder bewusst gemacht“, bemerke ich und versuche cool zu wirken.
Sie blickt mich weiterhin amüsiert an.
„Lass uns gehen, es ist spät und ich brauche meinen Schönheitsschlaf.“

Amy ruft die Kellnerin herbei, zahlt, meinen Protest ignorierend, die Getränke und schwingt sich anmutig aus dem Sessel.
Als wir wieder auf der Straße sind, reicht sie mir eine Karte.
„Meine Telefonnummer. Ruf mich morgen an, dann können wir etwas essen gehen.“
Ein gehauchter Kuss auf die Wange und bevor ich noch ansetzen kann, hat die Dunkelheit sie auch schon verschluckt.

Zu Hause angekommen, falle ich auf das Bett und bald übermannt mich der Schlaf. In meinen Träumen kämpfe ich an der Seite eines blonden Engels gegen dunkle Mächte. Jede Menge Dämonen, Geister und Stilettos.

Der nächste Morgen begrüßt mich mit einer Sonne, die hell am Himmel lacht und glitzernde Strahlen durch die Jalousie schickt.
Während ich der röchelnden Kaffeemaschine lausche, hängen meine Gedanken dem gestrigen Abend nach. Amy hat mich beeindruckt. Mehr als beeindruckt. Beinahe würde ich eine kleine Verliebtheit diagnostizieren.
Allerdings quält mich ein wenig der Gedanke, so widerstandslos das Heft aus der Hand gegeben zu haben.
„Junge, was ist mit deinen männlichen Jagdtrieben?“, geht es mir durch den Kopf.

Die Karte mit der Telefonnummer liegt auf dem Küchentisch. Ein  neuzeitliches Dokument, das von dem Niedergang maskuliner Regieführung zeugt.
Ich beschließe, sie später anzurufen und der Einladung zu folgen.

Das tue ich dann auch. Irgendwo zwischen Mittagspause und Strategiemeeting.
„Antonios“ ist mein Lieblingsitaliener. Hier gibt es Pasta satt. In allen Variationen und das zumeist reichlich. Die italienische Küche ist mein Favorit und Amy zeigte sich erfreut darüber.
„Kein Küchenstreit zu befürchten“, sagte sie am Telefon.
„20.00 Uhr? Klar, das passt. Wir treffen uns im Restaurant.“

Jetzt sitze ich an einem der Tische, spiele nervös mit meinem Handy und schaue auf das Display, ob eine Nachricht eingegangen sein könnte.
20.10 Uhr.
Große Persönlichkeiten brauchen ihre Zeit. Habe ich mal irgendwo gelesen.

Die Tür schwingt auf und Amy trabt herein. Sie trägt ein schlichtes, schwarzes Kleid, das ihre Figur umschmeichelt. Dezent geschminkt. Dunkler Lidstrich als Kontrast zu ihren hellen Augen. Die lockige Haarpracht hat sie zu einem Knoten gebunden, der zwischen den Schulterblättern ruht.
Ich spüre, wie mein Herz höher schlägt und vermag kaum den Blick von ihr zu wenden. Ähnlich scheint es auch einigen anwesenden Herren zu ergehen, wie man an den herumfahrenden Köpfen erkennen kann.

Sie erspäht meine winkende Hand und steuert auf den Tisch zu.
Der Kuss ist warm, weich und länger als man es von einer flüchtigen Bekanntschaft erwarten würde.
Amy bezieht Platz neben mir und lächelt vielsagend.
„Na Du, hast mich vermisst?“
„Hm…ein wenig“, gestehe ich grinsend.
„Nun denn.“
Sie greift nach der Karte und beginnt sie ausgiebig zu studieren.
Ich betrachte sie und spüre, wie mich der Anblick in den Bann schlägt.

Der Kellner nimmt die Bestellung entgegen und wir plaudern über allerlei Nichtigkeiten. Farben, Formen und zwischenmenschliche Vergletscherungen.
Ihre scharfsinnigen Formulierungen lassen mich immer wieder zu bewundernden Kommentaren hinreißen.
Ich beobachte, wie sich Gedankengänge in ihrem Kopf materialisieren und, von den vollen Lippen geformt, auf den Weg geschickt werden.
Auch sie wirft mir interessierte Blicke zu und das ein oder andere Mal ertappe ich sie bei dem Versuch, wohlwollende Blicke auf meinem Gesicht zu platzieren.

Während ich mich dem Teller Tagliatelle mit Lachs widme, verspeist Amy eine beachtliche Portion Lasagne. Erstaunlich, wie schnell und gleichzeitig elegant die Mahlzeit von ihren kleinen Zähnen verarbeitet und auf die Reise in den Magen geschickt wird. Keine Spur von kalorienscheuem Herumgestochere oder gespielt zurückhaltendem Kleinstportionieren wie man es hin und wieder in der Damenwelt beobachteten kann.

Während der Kellner das Trümmerfeld beseitigt, liegen wir kampfesmüde in den Stühlen.
„Jetzt einen ordentlichen Verdauungsbeschleuniger“, meint Amy grinsend.
Stöhnend verkünde ich meine Zustimmung.
Sie schüttet den Schnaps hinunter ohne eine Miene zu verziehen und knallt das Glas auf den Tisch.
„So, jetzt fahren wir zu mir“, sagt sie, „ich spendiere einen Kaffee auf Kosten des Hauses.“
Der Gedanke an eine belebende Tasse erscheint mir gar nicht übel und so nicke ich zustimmend mit dem Kopf.
Erneut zahlt sie Rechnung - wieder unter Ignorieren meines Protestes.

Sie hilft mir in die Jacke und geleitet mich durch die Restauranttür beim Hinausgehen.
Zielstrebig steuert sie einen schwarzen Sportwagen auf dem Parkplatz an. Aus bayrischen Landen. Flach, breit und ziemlich schnell wirkend.
„Steig ein, mein Lieber“, sagt sie und hält die Beifahrertür geöffnet.
Ich quäle mich in den Sportsitz während sie elegant um den Wagen herumspaziert und hinter dem Cockpit Position bezieht. Der Motor heult röhrend auf und mit quietschenden Reifen schießt sie aus der Parklücke heraus.

An den folgenden Höllenritt kann ich mich nur noch bruchstückhaft erinnern, weil meine Augen zumeist geschlossen waren. Hatte etwas von James Bond. Rücklichter, quietschende Reifen und jede Menge waghalsiger Überholmanöver. In erster Linie war ich mit dem Verbleib der Speisen in meinem Magen beschäftigt, sodass ich nach endlos erscheinenden Minuten erleichtert bemerke, wie die Fahrt vor einem hübschen Häuschen im Neubaugebiet endet.
„Haben mir meine Eltern vermacht“, sagt sie und bittet mich hinein.
Der Wohnbereich ist üppig gestaltet. Hell, große Fensterfronten und modernes Mobiliar. Alles sehr geschmackvoll und einladend.

Mit weichen Knien beziehe ich Platz auf der großzügig dimensionierten Ledercouch während Amy in der Küche verschwindet und sich um die Zubereitung des Kaffees bemüht. Die Fahrt steckt mir noch in den Knochen.
„Milch, Zucker?“, ruft sie durch die offene Tür.
„Ja, gerne.“
Sie kehrt zurück, bewaffnet mit zwei dampfenden Tassen.
Ihr Kaffee ist schwarz. Sie schlürft ihn genussvoll und mustert mich.
„Du bist süß. Denke, ich mag Dich.“

Sie nimmt mir die Tasse aus der Hand und stellt diese auf den Tisch.
Wortlos greift sie meinen Arm, zieht mich in die Höhe und öffnet meinen Gürtel. Gekonnt entkleidet sie mich und bleibt einen Moment stehen, um mich zu begutachten.
„Ok“, bemerkt Amy lächelnd und beginnt ihrerseits sich auszuziehen.
Was sich unter den Textilien schon abzeichnete, findet sich in Abwesenheit dieser bestätigt: Feste, üppige Formen, die meinen purpurbehelmten Freund in freudige Aufrichtung versetzen.
Das ist so bei uns Männern. Kannst du echt nichts dagegen machen.

In der folgenden Nacht zeigt sie mir ihre Welt der Leidenschaft. Ungestüm, fordernd und bestimmt. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft sie mein Boot in ihrem Fjord ankern ließ. Irgendwann liegen wir völlig erschöpft nebeneinander. Die Sonne ist inzwischen aufgegangen und taucht das Schlafzimmer in einen hellen Schein, der die Schweißperlen auf unserer Haut in kleine, funkelnde Diamanten verwandelt.
Es ist der Moment als sie mich zu ihrem Lebensgefährten erklärt und ich freudig zustimme.
„Lass uns ein Paar sein. Mann und Frau. Du und ich.“
„Klar, bin dabei“, entfährt es mir.
Sie küsst mich zärtlich und es kommt wie es kommen muss.
Schon wieder.
Vermutlich wird das ein taubes Gefühl in der Lendengegend zur Folge haben, aber zweifellos ist es das wert.

Die kommende Zeit ist eine der schönsten, die ich bis dato erleben durfte. Amy ist eine wundervolle Frau. Sie zeigt mir ihre Welt und lehrt mich Dinge, die mir bis dahin unbekannt waren. Pfeifen auf zwei Fingern zum Beispiel. So laut, dass die Vögel erschrocken aus den Bäumen flüchten.
Oder Reifenwechsel am Auto. Mit Wagenheber, Radkreuz und ordentlich Muskelkraft.
Es ist eine luftige Zeit und doch lässt mich irgendwie der Gedanke nicht los, dass ich meine männliche Rolle nicht wirklich ausfülle – bis zu jenem Abend.

Wir hatten uns verabredet. Sie würde Chips und Bier mitbringen. Fußball schauen in meinen vier Wänden.
Halbwegs pünktlich steht sie dann auch in der Tür und schwenkt die Utensilien.
„Na, kann es losgehen?“, sagt sie und drückt mir einen Kuss auf den Mund.
Im Fernseher flimmern schon die Vorberichte. Amy bezieht Platz auf dem Sofa und setzt eine Flasche umgedreht an den Hals einer anderen an, sodass der Kronkorken schnalzend durch das Zimmer fliegt.
Willste auch?“, sagt sie und hält mir das geöffnete Bier hin.
„Klar.“
Wir stoßen an und wohnen dem Rasenspiel bei. Der Ball wandert zwischen den Fronten und irgendwann fordert die konsumierte Flüssigkeit ihren Tribut. Amy verkündet, die Toilette aufzusuchen.

Minuten vergehen in denen sie verschwunden bleibt.
Allmählich beginne ich mich zu fragen, ob sie den falschen Weg genommen haben möge, als plötzlich ein gellender Schrei aus dem Bad ertönt.

Sofort stelle ich die Flasche ab und haste zur Toilette. Die Tür ist nur angelehnt. Das macht sie immer. Ich öffne und erspähe sie. Zusammengesunken kauernd in der Ecke des kleinen Raumes und mit schreckensgeweiteten Augen, die zur gegenüberliegenden Wand starren. Zitternde Finger zeigen auf einen Fleck, der sich zu bewegen scheint.
„Dada…mach das weg…bbbitte.“
Ich schaue in Richtung ihres Blickes und erkenne eine Spinne. Harmloser Weberknecht, wie man sie überall im Haushalt findet. Üblicherweise pflege ich eine friedliche Koexistenz mit diesen Geschöpfen.
In Rücksichtnahme auf ihre Verfassung unterdrücke ich ein Lachen und spaziere in die Küche, um mich mit Glas und Bierdeckel zu bewaffnen.
Gekonnt verwende ich die Gegenstände, um den Achtbeiner in das gläserne Gefäß zu verfrachten.

Nun, ich bin wirklich kein Mensch, der besondere Situationen zu seinem eigenen Vorteil schamlos ausnutzt oder mit den Schwächen anderer spielt, aber in diesem Moment konnte ich der Versuchung einfach nicht widerstehen.

„Amy?“
Sie sieht mich aus angsterfüllten Augen an.
„Ja?“
Weißt Du, ich liebe Dich.“
„Ich liebe Dich auch.“
„Und ich werde dafür sorgen, dass Du Dich sicher fühlst.“
„Das ist nett von Dir“, sagt sie und in ihre Stimme kehrt die Fassung zurück.
„Aber“, entgegne ich und hebe dabei sichtbar das Glas, „ich hätte einige Wünsche.“
Angsterfüllt verfolgt sie meine Hand mit dem Gefäß.
„Ja?“
„Du hilfst mir nicht mehr in die Jacke, hältst mir nicht mehr Türen auf und lässt mich beim Sex auch mal oben liegen. Ok?“
Sie nickt heftig mit dem Kopf.
„Klar, gerne…“
Außerdem werde ich den Heiratsantrag machen, nicht Du und wenn wir in die Flitterwochen fahren, darf ich auch mal ans Steuer. Ok?“
Wieder nickt sie mit dem Kopf.
„Kein Problem.“

Wir umarmen uns und verbringen den restlichen Abend in entspannter Zweisamkeit.

Übrigens, das Insekt habe ich im Garten ausgesetzt. Wir sind jetzt echt dicke Freunde. Der Weberknecht und ich.

Amy ist sowieso klasse, wir haben die weltbeste Partnerschaft und heiraten werden wir auch.
Mal sehen, wer den Antrag ausspricht… 

© by P.H.

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