Dienstag, 28. April 2015

Super Mario und der Boiler des Schreckens

Kalt duschen ist echt kein Wattepusten. Fühlt sich an, als würde ein Eisbär mit dir Blues tanzen. Wange an Wange, in heftigster Umarmung und dabei ziemlich sensibilitätsfern die Luft aus den Lungenflügeln schmusen.
Ist ja nicht so, dass ich eine Abneigung gegen warmes Wasser hätte. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil – stehe total auf eisfreie Körperhygiene.
Nur hat es mein Boiler vorgezogen, sich in das Walhalla der wohlverdienten Elektrogeräte zu begeben. Wirkt zumindest so, denn als ich den Burschen vorhin aus dem Dämmerschlaf holen wollte, quittierte dieser kommentarlos den Dienst. Ein hämisches „Pling“ war alles, war er mir noch zurief, bevor die Nulllinie einsetzte.

Kleine Dramen, die das Leben schreibt, aber nicht wirklich mit Krisenpotential, denn für solche Fälle verfügen wir über eine Allzweckwaffe in unserem Wohnkarton: Herrn Watschek. Von allen nur kurz „Watschi“ genannt. Seines Zeichens Hausmeister und zuständig für alle Festinstallationen.
Eigentlich ein ganz fähiger Typ, aber leider mit methanartigen Eigenschaften ausgestattet. Soll heißen, wenn Arbeit in der Luft liegt, wird Watschi zum flüchtigen Gas. Dematerialisiert sich. Nicht einmal die Bioscanner des Raumschiffes Enterprise können ihn dann aufspüren.
Watschi ist ein kleiner, drahtiger Kerl. Typ Super Mario. Nur ohne Mütze und weniger super. Ich hänge ja der Theorie an, dass man seinen Blaumann schon auf den Ultraschallbildern hat sehen können. Also, im Embryonalstatus. Ganz sicher, weil ohne diesen ist er mich bisher noch nicht in das Blickfeld geraten. Überhaupt ist das mit dem Sehen so eine Sache. Funktioniert bekanntermaßen nur bei sichtbaren Objekten. Trifft für ihn allerdings eher selten zu. Meistens sitzt er in seiner Bude und spielt toter Mann.

Ok, wenn er dann mal zu Schraubenschlüssel und Zange greift, ist das Ergebnis durchaus brauchbar. Wie im letzten Winter. Da durfte ich einem seiner seltenen Auftritte beiwohnen. Die gebrechliche Frau Herder konnte wegen der verschneiten Straßen ihre Besorgungen nicht mehr erledigen. Watschi hat kurzerhand aus alten Gartenstühlen einen Schneeschieber gezimmert und an ihren Rollator montiert. Über beide Backen hat die Dame gestrahlt. Klar, war wohl nicht ganz uneigennützig, denn die Räumung der Wege vor dem Haus war damit gesichert. Das erledigte Frau Herder - mit ihrem Handpflug während der täglichen Einkäufe.

Jedenfalls stand ich vorhin klopfend und klingelnd an seiner Tür. Wieder mal keine Reaktion - wie zu erwarten. Was blieb, war die kalte Dusche und lautstarkes Fluchen unter dieser. Verbunden mit Wünschen nach qualvollem Siechtum, das ihn baldigst ereilen möge.

Zu allem Überfluss ziert jetzt auch noch diese Gesichtsmaske meine Erscheinung. Rote Erde aus dem Taka-Tuka Land oder so. Hat mir Ella aufgeschwatzt, nachdem wir gestern zusammen die Bettlaken zerwühlt haben.
„Macht ne Haut wie ein Nacktmull“, meinte sie grinsend, bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Keine Ahnung, wie die Pelle von den Biestern ist. Hoffe, es sind keine Artverwandten der Gürteltiere.
Zu doof, dass Ella vorhin ausgeflogen ist. Hätte sonst einen Abstecher in das Nachbarhaus gemacht und ihr Bad genutzt. Mit ziemlicher Sicherheit dürfte es bei ihr keine Eiswürfel aus der Dusche regnen.

Im Gegensatz zu meiner Brauseeinrichtung. Deren Betriebszustand sorgt dafür, dass sich nur widerwillig die Seifenreste von der Gänsehaut lösen lassen. Während ich da nun mit klappernden Zähnen gegen das Wasser aus der sibirischen Tundra ankämpfe, schlägt die Türklingel an.
War irgendwie klar.

Fluchend klettere ich aus der Duschwanne, wickele mir ein Handtuch um die Hüften und trabe zum Eingang.
„Du hast da etwas im Gesicht“, begrüßt mich Yvonne.
Ihr verträumtes Lächeln lässt erahnen, dass sie sich wieder mal auf einer anderen Bewusstseinsebene befindet. Das hüftlange, hennagefärbte Haar hat sie zu einem Knoten gebunden, der auf den Schultern ruht.
„Peace“, werfe ich ihr entgegen, „ ja, schlechte Schwingungen. Macht mir immer diesen lästigen Ausschlag.“
Sie schaut mich prüfend an und die Cannabis-Wolke, die von ihrem Blumenkleid ausgeht, benebelt meine Sinne. In der Hand hält sie eine Flasche, die verdächtig klare Flüssigkeit beherbergt.
„Schnäpschen?“
Aus umnebelter Ferne höre ich mich dankbare Worte zu der angebotenen, inneren Erwärmung sagen.
Yvonne ist ein Relikt aus jener Zeit, in der Hosen noch Schlag hatten und häufiger Gast in meiner Küche. Mit den Lokalitäten wohl vertraut. So bin ich keineswegs überrascht, als wir uns kurze Zeit später am Tisch wieder finden und gut gefüllte Gläschen den Tisch dekorieren.

„Cheers“, rufe ich ihr zu und schütte die Flüssigkeit in den Hals.
Das Zeug erinnert entfernt an verschimmelte Himbeeren und lässt mich unwillkürlich husten.
Yvonne grinst breit.
„Der reinste Kehlenfasching, nicht wahr?“
„Gib zu, das ist vom letzten Wechsel der Bremsflüssigkeit abgefallen.“
Sie lacht und irgendwie klingt es weit entfernt.
„Du scheinst mir etwas unentspannt, mein Lieber. Gönne Dir mal eine Auszeit. Seele baumeln lassen und so. Komm doch vorbei. Bin ausgebildet in Tantra-Massage.“
Dabei zupft sie an ihrem Kleid, dass ein tiefer Einblick auf ihre üppige Naturtheke möglich wird. BHs scheinen ihrer Weltanschauung zu widersprechen. Hat etwas.
Ich vermute, dass die Gesichtsmaske mich nur bedingt gelassen erscheinen lässt und versuche möglichst gechillt zu wirken.
„Klingt gut. Komme vielleicht darauf zurück.“
Sie lächelt verführerisch und füllt die Gläser nach.

Irgendwann, einige Hustenattacken später, hat Yvonne das Feld geräumt. Ziemlich erheitert und unter Absingen von zotigen Weisen, die mir bis dato unbekannt waren, lässt sie mich zurück. Mich und meine Herausforderungen an die Körperhygiene.

Unveränderter Status: Das Wasser hat immer noch unkaribische Temperaturen. Die Duschreste lassen sich nur mühsam entfernen. In der Werkzeugkiste findet sich allerdings ein Spachtel, der mir gute Dienste leistet. Nach einigen Anläufen lösen sich die Platten getrockneter Seife widerwillig von der Haut.

Es klingelt. Entnervt lasse ich das Werkzeug fallen und begebe mich zur Tür.
„Ja ja, ich weiß, Ganzkörperherpes. Kann man nichts machen“, werfe ich prophylaktisch Herrn Kreitscher entgegen, der mich entgeistert durch seine kristallaschenbecherdicken Brillengläser anstarrt. Typ Buchhalter. Trägt sicher Ärmelschoner und sortiert Bleistifte nach Größe.
„Sie haben nicht zufällig Herrn Watschek gesehen?“
„Nö, wieso?“
„Mein Briefkastenfach schließt nicht mehr bündig mit der Dichtung. Sehr beunruhigend.“
Nervös zieht er an seinem Krawattenknoten. Ein gewaltiges Teil in Mandarinengröße.
„Nein, habe hier ebenfalls technische Probleme. Versuchen Sie es ein Stockwerk tiefer. Serienhämmern an seiner Tür könnte Erfolg haben.“
Kreitscher wendet sich dankend ab und bleibt nachdenklich im Treppenhaus stehen.
Bevor er weitere Sprechblasen entleeren kann, schließe ich die Tür.

Die letzten Seifenplatten fallen unter dem Einsatz von Hammer und Meisel. Erleichtert schlüpfe ich in meine Shorts, als es an der Tür klingelt.
Schon wieder. Heute ist Weltnachbarschaftstag und hier definitiv das Epizentrum.

„Sie haben da etwas im Gesicht“, begrüßt mich Frau Schnerzelhuber.
„Weiß ich - ne bösartige Schuppenflechte. Überträgt sich an der Luft.“
Angewidert schaut sie mich aus tiefliegenden Schweinsäuglein an. Ihre dünnen Lippen beschreiben einen liegenden Halbmond. Deutlich misslaunig. Könnte aber auch an den stramm sitzenden Lockenwicklern liegen, die einen Liftingeffekt in ihrem Gesicht verursachen.
„War ziemlich laut, heute Nacht“, tönt sie und wischt dabei unsichtbare Fussel von der strapazierten Kittelschürze.
„Joa, der Watschi hatte wieder mal Damenbesuch. Mädels vom Bahnhof.“
Ich staune über mich selbst, wie cool mir diese kleine Schwindelei von den Lippen geht. Tatsächlich waren es die Stunden mit Ella, die nicht ganz ungehört geblieben sein durften. Lautstarkes Angrölen gegen das Karaoke-Programm der Spielkonsole im überhopften Zustand. Ganz zu schweigen von dem anschließenden Nahkampf in der Horizontalen.
Völlig entgeistert sieht sie mich aus ihren farblosen Augen an.
„Der Watschi?“
„Ja, Madame. Fragen Sie ihn.“
Ich winke kurz und werfe die Tür vor ihrer Nase in das Schloss.

In der Werkzeugkiste findet sich ein Trennschleifer. Lange her, dass ich den im Einsatz hatte. Muss gewesen sein, als ich mich an Blätterteigpasteten versuchte und diese sich nicht vom Backblech lösen wollten.

Der rotierenden Scheibe hat die Gesichtsmaske nichts entgegenzusetzen und verlässt mein Gesicht. Irgendwie hatte ich mich beinahe daran gewöhnt. Ein wenig wie Leonardo Di Caprio – der Mann in der eisernen Maske.
Die Haut scheint es unbeschadet überstanden zu haben. Keine sichtbaren Verletzungen. Von einer Verjüngungskur kann allerdings auch nicht die Rede sein. Das Gesicht hat eine hummerartige Färbung angenommen. Als wäre ich auf dem glühenden Waffeleisen eingeschlafen.
Weitere Diagnostik wird vertagt, da es an der Tür klingelt.

Herr Wurstwasser steht im Türrahmen. Rentner mit Frustrationshintergrund. Typ Kissen auf dem Fensterbrett und ständig auf Beobachtungsposten. Selbsternanntes Kontrollorgan. War früher sicher mal Radarfallenbetreiber oder Kartenabreißer in einer Proktologenpraxis.
Mit seiner ungerührten Stand by-Miene, in der sich lediglich minimal die Lippen zu bewegen scheinen, kommt er ohne Umschweife zu seinem Anliegen:
„Ham´se den Watschi gesehn´?“
„Nö, habe ich nicht. Warum?“
„Mein Fenster ist kaputt. Lässt sich nicht mehr öffnen“, verkündet er und der schmerzliche Unterton ist kaum zu überhören.
Irgendwie verspüre ich Mitleid mit dem Wurstwasser - Aussichtsplattform geschlossen. Der Mann seiner Bestimmung beraubt. Schicksale, die bewegen.
„Na ja, der Watschi hat wohl einen ordentlichen Bock geschossen. Orgie gefeiert und dabei Briefkästen geschrottet. Glaube, seine Eigenschweißallergie macht ihm gerade zu schaffen.“
Klar, manchmal neige ich zu Übertreibungen. Besonders unter Einfluss von Halluzinogen.
„Aha…ham´se ne Ahnung, wann der wieder auftaucht?“
„Keinen Schimmer, würde mal an seiner Tür rütteln. Sind noch mehr, die etwas von ihm wollen.“
„Werde ich versuchen..“
Mit hängenden Schultern wendet er sich ab, während ich ihm seinen Schicksal überlasse und die Tür schließe.

In der Besenkammer findet sich ein Rest Wandfarbe. Überbleibsel der letzten Renovierung. Großflächig verteile ich das Weiß im Gesicht und betrachte die Wirkung im Spiegel. Nicht ohne eine gute Portion künstlerischen Stolzes, hat die rote Färbung nun doch deutlich an Dominanz verloren.

Von einer Fortführung der Kreativeinlage sehe ich ab, da lärmende Geräusche aus dem Treppenhaus an meine Ohren dringen. Anschwellendes Stimmengewirr und polternde Geräusche, die vom hämmernden Klopfen an eine Tür begleitet werden. Keine Frage - der Hausmob hat Stellung vor Watschis Behausung bezogen und fordert seinen Körper.
Mir wird das nun entschieden zu unentspannt. Ich greife zum Handy und wähle mit unterdrückter Rufnummer die Polizeistation an.
"Dringend...ja...Geiselnahme - ich glaube, er ist bewaffnet."

Der Geräuschentwicklung lauschend, warte ich die weitere Entwicklung ab, als sich sehr bald Sirenen vernehmen lassen. Immer lauter, bis sie vor dem Haus verstummen. Kein einsamer Streifenwagen. Nein, eine bemerkenswerte Ansammlung von Mannschaftswagen hat sich eingefunden. Volles Programm der Staatsmacht in Sturmbereitschaft.
Dauert auch gar nicht lange, da sind im Treppenhaus laute Rufe zu vernehmen und wenig später das Bersten einer Tür.
In solchen Dingen sind die Jungs vom SEK nicht zimperlich.
Klar, zum heiteren Gurkenschälen rücken die nicht an.

Im Kühlschrank findet sich eine Dose Bier. Ich reiße den Verschluss ab und lasse mich auf das Sofa im Wohnzimmer fallen. Wenig später folgen die Augenlider. Der Traum ist ziemlich hektisch und bunt. In dem Jump 'n' Run-Spiel bin ich ein Warmwasserboiler und jage Super Mario auf den Osterinseln. Nach wenigen Runden ist der Sieg meiner und der erlegte Blaumannträger eine Trophäe an meinem Gürtel.

Als ich wieder wach werde, ist es ruhig im Haus. Gespenstisch ruhig. Meine Neugier meldet sich zu Wort und lässt mich das Sofa verlassen.

Watschis Wohnung hat keine Tür mehr. Also, keine funktionierende. Hölzerne Reste einer Pforte zieren den Rahmen, ansonsten komplette Freiluftveranstaltung.
Ich trete ein und sehe mich um. Die Behausung erscheint gar nicht ungemütlich. Parkettboden, geschmackvolle Tapeten und Bilder von allerlei technischen Zeichnungen an den Wänden.
Gleich neben der Tür sticht mir ein auffälliger Schalter in die Augen. Einer, wie sie sich üblicherweise an großen Maschinen finden. Das Schild über dem Ding spricht für sich: „Telefon/Klingel aus.“
Irgendwie beeindruckt mich das.

Watschi sitzt zusammengesunken auf einem Sofa im Wohnzimmer. Sein leerer Blick scheint mich kaum zu registrieren.
„Hey, alles senkrecht bei Dir?“
Er nickt müde und hebt dabei den Kopf nur unwesentlich.
Mitleid erfasst mich.
Ich gehe zu ihm, greife unter die Beine, werfe seine Arme um meinen Hals und hebe ihn von dem Sitzmöbel. Watschi scheint dies kaum wahrzunehmen. Vorsichtig trage ich ihn durch das Treppenhaus zu meiner Wohnung. Dort angekommen steuere ich das Badezimmer an und setze ihn auf den Rand der Duschwanne.
„Hör mal, mein Boiler will nicht mehr. Scheint hinüber. Kein warmes Wasser. Nur noch Frostprogramm. Lässt Du mal Deine heilenden Hände wirken?“
Müde erhebt sich Watschi und schlurft zu dem Gerät hinüber. Er greift hinter den Behälter und befördert wenig später ein Bauteil an das Tageslicht. Sicherung - erkennt mein geübtes Auge sofort.
Suchend fasst er in eine der zahllosen Taschen an seinem Blaumann, fummelt einen passenden Ersatz herbei und implantiert diesen.
Kurz darauf verkündet der Boiler Betriebsbereitschaft.
Ich umarme Watschi und schüttele begeistert seine Hand. Er nimmt dies widerstandslos entgegen, gleichwohl ich den vorsichtigen Ansatz eines Lächelns über sein Gesicht huschen sehen kann.

Als wir später in seiner Küche sitzen und uns zuprosten ist er beinahe wieder der Alte.
„Weißt Du“, lässt er seufzend verlauten, „ die Tür war sowieso Schrott. Zeit für ein Upgrade. Jetzt gibt es Stahl. Rostfrei und lebenslange Garantie.“
Dabei grinst er diabolisch und ich sehe Watschi vor meinem geistigen Auge – händereibend hinter einer Stahltür. In gesicherter Distanz zu der Achse des Bösen, die irgendwo quer durch das Haus verläuft.

Es ist schon ziemlich spät in der Nacht, als Ella mit mir in der Badwanne sitzt. Heißes Wasser bis zum Kinn - in meiner Hygieneoase. Das Leben meint es gut mit mir.
„Was war das heute für eine Aufregung bei euch? Polizei und so?“
„Na ja, muss wohl ein Missverständnis gewesen sein. Hatten sich in der Straße geirrt“, meine ich beiläufig.
Sie grinst.
„Du hattest damit aber nichts zu tun?“
„Ne, halte mich aus solchen Sachen heraus, weißt Du doch.“
Ella wischt mir Wandfarbe aus dem Gesicht.
„Da bin ich mir nicht so sicher, manchmal neigst Du zu unüberlegten Handlungen.“
Ich küsse ihre vollen Lippen.
„Unkonventionell trifft es besser und außerdem - ist schon ein verrückter Haufen hier in diesem Bunker.“
Sie lacht und bewirft mich mit Badeschaum. Dabei spritzt Wasser.
Wohltuend warmes Wasser.

© by P.H.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen