Donnerstag, 27. Oktober 2011

Daumen hoch

Friedhorst war ein echter Siegertyp. Wirklich. Nein, das hatte nichts mit seinem Vornamen zu tun. Zumindest nicht unmittelbar. Vielmehr war es seiner unwiderstehlichen Sogkraft gegenüber dem weiblichen Geschlecht geschuldet. Das manifestierte sich auch bei jener Sache mit Antonia. Die hatte ihn über diese Plattform aufgespürt, wo man sein Autokennzeichen hinterlegen kann. Das hat nun nichts mit Sympathiepunkten in Flensburg zu tun, ist eher so ein Flirtding. Kannst dein Nummernschild angeben und andere Verkehrsopfer, denen du in irgendeiner Weise aufgefallen bist, können dich dort ausfindig machen. Sei es zur Belehrung oder Lebensabschnittsbegleitungsanbahnung.

Friedhorst hatte von dieser Plattform in einem chinesischen Glückskeks gelesen und fand die Idee irgendwie cool. Spontan meldete er sich an. Getan hat sich da allerdings zunächst gar nichts. Nicht mal schnöde Absichtserklärungen zur körperlichen Züchtigung von irgendwelchen Feierabendschumis. Dann kam aber der Tag, als er in de Supermarkt fuhr und sich nicht entscheiden konnte, wo auf dem leeren Parkplatz er seinen rollenden Wertstoffhof abstellen sollte. Nach einigen Wendenmanövern fand er ziemlich zielsicher „Georgs Currytreff“. Wie beide, sowohl Georg, als auch Friedhorst, erkennen mussten, bot die Frittenschachtel keine hinreichende Parkfläche, um einen handelsüblichen Mittelklassewagen kollateralschadensfrei in dem Verkaufsraum unterzubringen. Glücklicherweise blieb es lediglich bei Materialdefekten und dem Bad in der Menge für Friedhorst. Herbeigeströmte Passanten hatten sein Manöver mit anerkennendem Rufen und stehenden Ovationen gewürdigt. Irgendwo in dieser Menge hatte sich auch Antonia befunden. Die, die ihn dann später über das Kennzeichen aufspürte.

„Bin auch bei wkw“, hatte er ihr geantwortet.
Augeschrieben lautet das: „Wer kennt wen“. Ist so eine Plattform, auf der dich Menschen in ihre Freundesliste einladen, von denen Du hofftest, du würdest ihnen nie wieder begegnen. Weder real noch virtuell.
Ok, das war bei Antonia anders. Die fand er echt nett. Gemeinsam waren sie dann federführend in eine dieser Gruppen tätig gewesen: Züchtung von Brunnenkresse in deofreien Achselhöhlen oder so.

Nicht lange, dann glaubte er rosafarbene Wattewolken in der Magengegend zu spüren und vertraute ihr an, auch bei facebook registriert zu sein. Antonia zeigte sich erleichtert, waren ihr doch bereits erste Zweifel gekommen, einen medialen Outlaw aufgesessen zu sein. Nein, Friedhorst war ganz offensichtlich ein Kerl, der mitten im Leben stand. Geradezu gerührt war sie, als er das Foto von 2 qm Hund auf der A5 an ihre Pinnwand postete und mit „Asphaltdeko“ betitelte. Daumen hoch und „gefällt mir“ hatte sie sogleich kommentiert.

Das mit den Daumen ist so ein facebook-Ding. Daumen, die himmelwärts zeigen gibt es hier waggonweise und inzwischen nicht nur da. Eigentlich überall. Manchmal träume ich schon davon. Angeblich träumen Menschen ja immer. Ist nur nicht stets bewusst. Jedenfalls, wenn ich so einen bewussten Traum habe, dann kann der schräg sein. Erotisch oder einfach nur abgefahren. Kommt schon mal vor, dass ich am Ende der mentalen Kinoaufführung im Abspann nach dem Daumen suche. Zumindest wenn die Bilderflut unterhaltsam war.
„Gefällt mir“, Steht unter dem Finger. Soll heißen, dass du das cool findest, was du da siehst und es gibt nichts, was nicht einen Fanclub hätte. Also, kannst beispielsweise den Morgenauswurf deiner tuberkulosekranken Schwiegermutter in Full-HD filmen und dort an die virtuelle Wand tackern. Garantiert wird sich sehr schnell eine Gemeinde finden, die dich als neuen Messias expressiver Alltagskunst feiert oder so.
Egal.

Jedenfalls kam es, wie es kommen musste: Er lud sie nun auch zu Twitter ein. Die Sache begann allmählich intime Züge anzunehmen und sie fühlte sich in hohem Maße geschmeichelt. Nun vermochte Antonia jede seiner Aktivitäten zu verfolgen, denn Twittern ist so etwas wie der Kommunikationsolymp.
Stehst mit deinem Handy im Aldi und fragst die Gemeinde um Rat – real time:
„Soll ich das feuchte Toilettenpapier in ungebleichter Ausführung oder das mit Aloe Vera erwerben?“
Klar, früher hast du solche Entscheidungen selbst getroffen. Retrospektiv betrachtet geradezu fahrlässig, wenn es doch Menschen gibt, die auf dem Gebiet der Hygiene verlängerter Rückenmarksregionen über einen Erfahrungshorizont verfügen, der deinen um ein Vielfaches übersteigt.

Jedenfalls wollte ihr Friedhorst nun auch seine künstlerische Schattenseite offenbaren. Er war äußerst musikalisch und vermochte täuschend echt den Gesang von paarungswilligen Süßwasseralligatoren nachzuahmen. Dazu ließ er begleitend Händels Wassermusik klingen. Ein audiophiles Kleinod. Antonia konnte sich gar nicht satt hören, nachdem sie seiner Einladung auf MySpace gefolgt war.
Zur Erklärung sei gesagt, dass Myspace in erster Linie auf Kreative abzielt. Künstler. Hauptsächlich Musiker und so. Hier findest du beispielsweise Menschen, die „Old MacDonald had a farm“ rückwärts rülpsen können.
Das nur nebenbei.

Letztendlich war es irgendwann so weit und es kam zum Showdown im Messenger. Terminkalender wurden befragt und Wagen betankt. Die beiden haben sich getroffen. Also real. Saßen sich in der Autobahnraststätte gegenüber. Bei Automatenkaffe und Roland Kaiser aus den Deckenlautsprechern.
„Wie war die Fahrt?“
„Ok.“
„Deine?“
„Auch ok.“
„Und sonst?“
„Gut und selbst?“
„Passt schon, muss ja.“
„Schön.“
„Du, bin auf dem Sprung.“
„Ja, ich auch.“
„Wir lesen uns.“
„Klar.“

So schnell, wie sie erschienen waren, verschwanden auch beide wieder. Jeder für sich und gleichermaßen erleichtert. Erleichtert darüber, dass diese Begegnung ohne weitere Folgen geblieben war.
Wie auch immer - der Kontakt zwischen ihnen blieb bestehen und wurde zu einem Bestandteil beider Tagesroutinen - auch wenn Antonia nach anderen Kennzeichen schielte und Friedhorst eimerweise chinesische Glückskekse konsumierte.

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