Donnerstag, 2. Februar 2012

Von saugenden Vampiren und anderen Wesen aus der Zwischenwelt

Es klingelt an der Tür. Schon wieder. Geht hier zu wie bei einer Flatrate-Party im Freudenhaus.
„Wunderschönen guten Tag, ich wollte Ihnen gerne unser neuestes Modell vorstellen – den Flusenvampir. Jetzt mit verbesserter Saugleistung und patentierter Milbenfalle.“
„Bitte“, antworte ich und lasse die Tür aufschwingen.

Die hübsche Rothaarige greift nach einem Koffer in Schrankwanddimensionen und drängt sich lächelnd an mir vorbei. Ein Hauch von Karibikduft weht dabei um ihre Erscheinung. Spontane Assoziationen, die einen Palmenstrand und unsere leicht bekleideten Körper zum Gegenstand haben, wische ich beiseite und zeige ihr den Weg in das Wohnzimmer, wo sich bereits eine illustre Runde um den Tisch versammelt hat.
„Nehmen Sie doch Platz.“

Der nervöse Herr mit der Hornbrille hält die aktuelle Ausgabe des Wachturms fest umklammert, als wollte er sie vor unreinen Berührungen schützen, rückt aber freundlich ein wenig zur Seite, um der der Lady Platz zu machen.
Verständlich – auch einen Mann züchtigster Gedankenstruktur wird die kurvenreiche Erscheinung nicht unbeeindruckt lassen. Verstohlen huscht sein Blick über ihr stupsnasiges Gesicht, das sich zu einem freundlichen Lächeln verzieht, wobei die vollen Lippen eine makellose Zahnreihe entblößen.
„Danke“, murmelt sie, was den Herrn verlegen zu Boden schielen lässt, wo er seine Schuhspitzen einer spontanen Inspektion unterzieht.

Unterdessen hat sie der Typ von der Drückerkolonne, in offensichtlich paarungsbereiter Gemütslage, visuell voll auf das Korn genommen. Fast scheint es, als würde er die Formen unter ihrem T-Shirt zum vollständigen Bodyscan auf seine mentale Festplatte sichern wollen. Den Mund halbgeöffnet, wirkt er dabei ziemlich primatenartig. Das anerkennende Brummen aus den Tiefen seines Rachens rundet den Eindruck gelungen ab.

Kopfschüttelnd beobachtet die ältere Dame mit der reichhaltigen Kollektion an kunststoffbasierten Küchenartikeln die Szenerie. Dabei rüttelt sie verärgert an ihrer Tasche, als wollte sie mit dem Klappern der dort versammelten Töpfchen und Döschen ihre Worte unterstreichen:
„Sie sollten sich was schämen, junger Mann. Zügeln sie ihre Blicke!“
„Is ja gut, Muttchen. Werde wohl mal nen Optikcheck fahren dürfen“, meint der Angesprochene und fährt sich mit knochigen Fingern durch die schwarzen, pomadeverstärkten Haarsträhnen, die straff zurückgelegt und ganz machoartig, den Kopf zieren.
„Is ja nicht verboten“, meint er grinsend.

„Kaninchenhampelmänner auch nicht“, lässt der Herr von der Versicherung vernehmen und nestelt hektisch an seinem Krawattenknoten als wollte er sich selbst strangulieren. Das gewaltige Doppelkinn schwingt im Rhythmus seiner Justierungsarbeiten hin und her. Wirkt ein wenig, als wäre es mit Götterspeise austamponiert.

„Bitte entschuldigen Sie mich noch einen Moment. Bin gleich bei Ihnen“, werfe ich in die Runde und verlasse den Raum.

Kritze sitzt bereits erwartungsvoll in der Küche und lässt ihren Schwanz auf dem Fliesenboden tanzen. Es dauert einen Moment, bis ich die Packung mit dem Katzenfutter lokalisiert habe. Der Kater streicht inzwischen fordernd um meine Beine herum und maunzt dabei deutliche Anwesenheitslaute. Ungeduldig taucht er seinen Kopf in den Futternapf während die Trockennahrung aus dem Karton rieselt. Kurz hebt das Tier seinen Blick noch und schaut mich aus schmalen Augen an. Man sagt, dass Katzen zwischen zwei Welten leben – im Hier und in jenem Reich, das sich unserer Vorstellung entzieht.
Vielleicht sollte ich den Kollegen mit dem Wachturm darauf ansprechen. Möglicherweise verfügt er diesbezüglich über weitergehende Informationen.
Für den Moment scheinen mir die grüngelben Sehschlitze lediglich Zustimmung signalisieren zu wollen.
„Mensch, du hast deine Aufgabe ordnungsgemäß verrichtet. Nun gehe.“
So etwa.
Also, wende ich mich wieder ab und trotte zurück in das Wohnzimmer.

Die versammelten Gäste haben sich inzwischen miteinander vertraut gemacht und zeigen sich ganz vertieft in anregenden Diskussionen.
Rotschopf hat ihr Fusselmoped an den Start gebracht und fährt nun gekonnt durch die ausgebreiteten Plastikexponate der älteren Dame. Diese nickt anerkennend, wobei die dauerwelleninduzierte Sauerkraufrisur im Takt schwingt. Lady Staubsauger lächelt zufrieden. Ganz so, als hätte sie soeben den Suppenwürfel erfunden.

Ähnlich wie der Typ von der Drückerkolonne. Nur, dass der eines seiner Magazine ausgebreitet hat und dem Herrn von der religiösen Front näher bringt. Dieser betrachtet interessiert das Spindbild einer barbusigen Dame in der Heftmitte und murmelt etwas von „wie der Herr sie schuf“.
Dabei rückt er nervös die Hornbrille auf seiner Nase zurecht. Vermutlich um die hydrantrote Färbung zu überspielen, die nicht nur seine Wangen, sondern auch die Ohren erfasst hat.

Vergleichbar zu der, die den mondgesichtigen Herrn von der Assekuranz befallen hat. Zweifellos bedingt durch die blutstauende Wirkung des Schlipsknotens, der ihn umklammert hält. Hektisch greift er in seine Aktentaschen, zieht einzelne Blätter hervor und tupft sich mit diesen den Schweiß von der Stirn.

Im nächsten Moment fährt Rotschopf herum und lässt das Endrohr ihres saugenden Ungetüms auf dem Tisch zum Liegen kommen. Mit röchelndem Laut verschwinden die soeben abgelegten Versicherungsunterlagen in dem Ansaugstutzen des Heulbesens.

Pures Entsetzen macht sich auf dem blutgestauten Gesicht des Herrn breit, dass dieser aufspringt und jammernd die Rückgabe seiner Dokumente fordert. Dabei stapft er tapsig vorwärts und vollführt eine astreine Punktlandung in der Schüsselkollektion, die sich unter der Last seines Gewichtes zu deformieren beginnt, was wiederum einen langgezogenen Quietschton des Schreckens bei der Besitzerin generiert.
„Den Schaden werden Sie mir ersetzen!“
„Keine Sorge, ist abgedeckt durch die Ramschversicherung“, stößt Mondgesicht hervor und versucht nach dem Staubsauger zu greifen.
„Ramsch???!“, schreit Sauerkrautkopf und versetzt ihm einen gleichgewichtsraubenden Stoß, der ihn der Länge nach auf den Tisch aufkommen lässt. Dieser sieht sich der auftreffenden Masse nicht gewachsen und zieht es vor, unter lautem Bersten, sich der Länge nach zu teilen.

Erschrocken springt der Herr der himmlischen Botschaften auf. Da, wo er soeben noch den bildlichen Beweis vollendeter Schöpfungskunst bestaunte, sieht er nun jene photografischen Kleinode von einem mächtigen Doppelkinn in die Tiefe gerissen.
„Was zum Teufel fällt Ihnen ein?!“
„Teufel?“, fällt da der Typ von der Pomadenfront ein.
„Sagten Sie eben Teufel?“, und grinst dabei über das ganze Gesicht.

Unter dem Einfluss des einsetzenden Fassungsverlustes versucht der Mann der Wachtürme über den Tisch zu steigen. Dabei streift er das immer noch aktive Endrohr des Staubsaugers, welches daraufhin herum schwingt und zwischen den Tischhälften zum Liegen kommt. Gierig beginnt es an der Krawatte des Versicherungströdlers zu saugen, was spontan eine Änderung der Gesichtsfärbung bei diesem bewirkt. Ein feiner Blauton beginnt sich nun um dessen Lippenpartie auszubreiten, begleitet von röchelnden Lauten der gepeinigten Seele.
Rotschopf springt sogleich auf und beginnt an ihrer Maschine zu hantieren, während die umstehenden Männer dem Opfer zur Hilfe eilen und den Kragen zu lockern suchen.

In diesem Moment ist das Geräusch eines Schlüssels zu vernehmen, der im Schloss gedreht wird. Ich wende mich ab, schreite in den Flur und versetze der Wohnzimmertür einen Tritt mit der Ferse, dass diese hinter mir zufällt.

„Hallo Frau Schnerzelmeier, alles glatt gegangen bei ihrem Arztbesuch?“
Sie lächelt mir wohlwollend zu, während sie ihre Tasche auf den Boden stellt.
„Aber ja, mein Junge, Alles prima und vielen Dank, dass Du Dich um Kritze gekümmert hast.“
„Kein Problem. Nachbarschaftsservice“, antworte ich und schlängele mich durch die geöffnete Tür in das Treppenhaus hinaus.

„Übrigens, sie haben Besuch. Die Gäste sind im Wohnzimmer untergebracht.“
„Merkwürdig“, meint sie stirnrunzelnd, „erwarte gar keinen Besuch.“
„Joa, sind wohl spontan erschienen, aber sehr nette Leute.“
Na dann - werde mal schauen, was die wollen. Wenn ich mich irgendwie bei Ihnen erkenntlich zeigen kann.“

Mit einem Fuß auf dem ersten Treppenabsatz bleibe ich kurz stehen und grinse sie an.
„Nö, aber…na ja, die Telefonnummer von der Lady mit der roten Mähne wäre irgendwie ok.“

Ich winke ihr zu und erklimme die Stufen Richtung heimische Wände.
Etwas verwirrt ist ihr Blick schon, als sie die Tür hinter sich schließt.

© by P.H.

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